»Amo, amas, amat, …«
»Brauchst du Hilfe?«
»Nein, warte! Ich hab’s: Amamus, amatis, amant.«
»Sehr gut!« lobte ihn Livia. »Du machst Fortschritte.«
»Weshalb sprichst du eigentlich so gut Griechisch?«
»Als Scipio es lernte, hatte er mir davon erzählt. Und ich war damals so begeistert, dass ich ihn bat, es auch mir beizubringen. Also haben wir zusammen geübt und er hat es so lange mit mir gesprochen, bis ich es konnte.«
Ein dezentes Klopfen ließ sie innehalten. Silanos erschien mit allerlei Päckchen und Holzgegenständen und fragte, ob er die bestellten und gelieferten Sachen ins Zimmer stellen solle. Krates vergaß für einen Moment seine Verliebtheit und musterte den Sklaven mit neugierigen Blicken. »Ist die Holzkugel auch dabei?«
»Hier ist sie«, erwiderte Silanos und hob eine gewaltige Kugel von sechs Fuß Durchmesser in den Raum.
Krates wusste, was Holz wiegen kann und mochte daher seinen Augen nicht trauen, als er sah, wie Silanos die Kugel lässig in den Raum wuchtete. Der Sklave schien seine Gedanken zu erraten, denn kurz, nachdem er die Kugel vorsichtig abgesetzt hatte, bückte er sich aus dem Türrahmen, hob sie an den Enden ihrer Achse ein paar Mal hintereinander hoch und runter und lächelte dabei so unschuldig, als würde ihm das Heben und Senken überhaupt nichts ausmachen.
»Sie ist innen hohl«, amüsierte er sich über die bewundernden Blicke, »und lässt sich übrigens in acht Einzelteile zerlegen. Der Schreiner meinte, so sei sie besser zu transportieren.«
»Ich danke dir«, sagte Krates freudig auf Pisidisch.
»Nichts zu danken«, erwiderte Silanos und zog sich zurück.
Livia war zur Tür gegangen und betrachtete das Ding von allen Seiten. Schließlich hob sie die Kugel an ihren Achsen empor und gluckste verwundert, als sie merkte, wie unerwartet leicht sie war. Krates nahm seine Krücken und humpelte ihr entgegen. Fachmännisch strich er über die glatte Oberfläche der Kugel und bestaunte das kundige Handwerk des Schreiners.
»Das muss ein Vermögen gekostet haben«, murmelte er.
»Na und? Qualität hat eben ihren Preis. Die des Schreiners genauso wie die deine. Wann willst du deinen Vortrag denn halten?«
»In zwölf Tagen«, antwortete Krates geistesabwesend, während er sich schon überlegte, wie er sie bemalen wollte.
Livia umarmte ihn und schmiegte ihren Kopf an seine Brust.
»Ach, Krates! Du glaubst gar nicht, wie dankbar ich den Göttern bin, dass sie dich in einen Kanalschacht fallen ließen.«
Krates schmunzelte. »Meinst du nicht, dass es einen vernünftigeren Weg gegeben hätte, um dir zu begegnen?«
»Vielleicht. Aber wärest du dann in Rom geblieben?«
Krates dachte an sein Zuhause und fühlte sich zum ersten Mal hin und her gerissen zwischen Pergamon und Rom, zwischen Leidenschaft und Liebe. »Vermutlich nicht«, sagte er leise und humpelte mit ihr zum Bett zurück.
Eine ganze Weile genossen sie ihre stille Umarmung, bis es Livia nicht mehr aushielt.
»Hast du in Pergamon kein Mädchen?«
Krates fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen. Wie konnte sie ihn das fragen? Hätte er ihr all’ die heißen Küsse gegeben, wenn dem so wäre? Doch dann erkannte er, dass seine Entrüstung wenn schon nicht albern, so doch allemal naiv war.
»Nein«, antwortete er schließlich.
»Kein einziges?« hakte sie mit gespielter Fröhlichkeit nach.
»Kein einziges. Ich war mal verliebt und hab mich mächtig ins Zeug gelegt, aber es sollte nicht sein. Mein bester Freund hat sie bekommen und ich ging leer aus.«
Livia strich ihm durchs Haar. »Und hast du ihm verziehen?«
»Es hat eine Weile gebraucht, bis ich das konnte. Heute ärgere ich mich nur noch, dass ich ihm überhaupt gezürnt habe.«
»Du meinst, weil in der Liebe immer zwei dazugehören?«
»Natürlich. Ich hätte sie doch sowieso nicht bekommen. Und wenn ich das Mädchen nicht gekannt hätte, hätte ich
mich sogar für ihn gefreut. Meine Enttäuschung bestand also nur aus Neid und Eifersucht. Und das sind nun wirklich nicht die Eigenschaften, die einen guten Freund ausmachen, oder?«
Livia drückte ihn sanft ins Bett und beugte sich über ihn.
»Te amo, Krates«, hauchte sie ihm ins Ohr. »Verstehst du, was ich sage? Ich liebe dich.«
Krates gab ihr einen leidenschaftlichen Kuss und blickte ihr forschend in die Augen. »Wie kannst du mich lieben? Du kennst mich doch gar nicht.«
Livia lachte ihn glücklich an. »Die Zeit ist doch egal. Selbst, wenn wir schon fünfzig Jahre zusammenlebten, hieße das noch lange nicht, dass ich weiß, wer du bist. Außerdem stellt Zeit in Verbindung mit Erkenntnis immer eine Bedingung dar und die Liebe akzeptiert keine Bedingungen.«
»Nicht?« fragte sie Krates erstaunt.
»Nein«, erwiderte sie kopfschüttelnd. »Aber du bist der Philosoph, Krates. Erzähl du es mir.«
»Ich habe mir darüber ehrlich gesagt noch keine Gedanken gemacht. Aber zum Thema Bedingungen fällt mir etwas anderes ein: Wie stehen eigentlich Cornelius und dein Vater zu unserem Verhältnis?«
Livia blickte ihn lächelnd an. »Cornelius ist eingeweiht, aber meinem Vater sollten wir wohl noch etwas Zeit geben.«
»Wieso ist Cornelius eingeweiht?«
»Er kennt mich seit meiner Geburt. Außerdem ist er der einzige Scipione, hinter dessen Herzlichkeit kein strategisches oder politisches Kalkül steckt. Ihm konnte ich mich schon immer anvertrauen und er weiß auch, dass ich jetzt hier bin.«
»Weiß er denn, wie ernst es dir ist?«
»Ich nehme es an, auch wenn ich es ihm nicht erzählt habe. Aber er kennt mich lange genug und verfügt über eine bemerkenswerte Menschenkenntnis.«
»Und Aurelius?«
»Mein Vater ist ein liebenswürdiger alter Mann, den der Krieg zum Krüppel gemacht hat. Dennoch ist er im Grunde seines Herzens ein Feldherr geblieben. Als Kind habe ich mich oft gefragt, ob er überhaupt Gefühle besitzt, aber mittlerweile weiß ich, dass er sie uns gegenüber nur nie gezeigt hat.«
Livia machte eine kurze Pause und betrachtete traurig ihre Hände. »Er wird es verstehen, Krates. Aber er muss dich erst besser kennen lernen. Schau mal, du bist doch kein Soldat, sondern so ziemlich das Gegenteil von allem, was meinem Vater immer heilig war. Seine Schmerzen haben ihn über all die Jahre kaputt gemacht. Und du warst der erste Mensch, der ihm helfen konnte. Das war ein guter Angang. Aber glaub mir, um dich vollauf akzeptieren zu können, braucht er mehr als ein paar Tage.«
Krates nickte und schwang sich vorsichtig auf die Bettkante, um sich dem Holzglobus zu widmen, den ihm Livia neben sein Bett gestellt hatte. Er brauchte eine Weile, bis er den raffinierten Mechanismus entdeckt hatte, mit dem sich die Achsen der Holzkugel in das dazugehörige Gestell einrasten ließen. Dann rief er nach Silanos und ließ sich zwei kleine Tische bringen, die er zu beiden Seiten der Kugel aufstellte.
Mit geübter Hand führte er den Kohlestift über das helle Holz und zeichnete zunächst die sechzehn Längengrade, auf die er sich einst mit Agathon geeinigt hatte. Dann trug er den erdhalbierenden Äquator ein und skizzierte je einen Breitengrad auf der oberen und der unteren Halbkugel. Die genauen Abstände der Kreissegmente ermittelte er durch Schnüre und Zirkel, die Silanos vom Forum mitgebracht hatte. Livia half ihm so gut sie konnte und lauschte dabei interessiert seinen Ausführungen.
Die folgenden Tage und Nächte verbrachte Krates mit der geographischen Berechnung der Landmassen, wobei er zu einem großen Teil auf seine Erinnerungen aus Tarsos zurückgreifen konnte. Als er mit seinen Bemühungen fertig war, nahm er wieder den Kohlestift zur Hand und übertrug die Umrisse von Europa und Nordafrika sowie der übrigen drei Kontinente maßstabsgetreu auf seinen Globus.
»Siehst du?« lächelte er Livia zu. »Das hier ist ‘unsere Welt’, wie Scipio wohl sagen würde. Mein Freund Agathon und ich haben sie damals ganz ähnlich bezeichnet, nämlich als Oikoumene, weil wir von ihr sicher ausgehen können, dass sie bewohnt ist. Auf der gegenüberliegenden Seite liegt die Insel der Periöken, uns gegenüber auf der unteren Halbkugel die Heimat der Antöken und letzteren gegenüber das Land der Antipoden.«
»Das Land der Gegenfüßler?« lachte Livia ungläubig.
»Der Begriff kommt eigentlich von Platon, aber wir fanden ihn so passend, dass wir ihn einfach übernommen haben.«
»Aber woher willst du wissen, dass sich dort überhaupt Land befindet? Und wenn dem so ist, dass es dann auch bewohnt wird?«
»Ich weiß es nicht«, lächelte Krates. »Aber was sollte dagegen sprechen diese Möglichkeit wenigstens einmal in Betracht zu ziehen? Die Geographie und die Kugelgestalt unserer Welt oder auch die mögliche Existenz unbekannter Länder sind ja gar nichts Neues. Sie sind nur so theoretisch und trocken, dass sich keiner mehr wirklich dafür interessiert, nicht wahr? Projiziert man sie dagegen auf ein Modell wie diesen Globus, wird das ganze wieder greifbar und animiert dazu, die begonnenen Gedanken weiterzuverfolgen. Ich könnte die unbekannten Länder genauso gut weglassen, denn die Frage nach dem Rest der Welt bleibt davon unberührt.
Mein Globus soll also gar nicht so sehr zeigen, wie unsere Welt aussieht, sondern viel mehr, wie sie aussehen könnte.«
»Wirklich beeindruckend«, nickte Livia ergriffen.
»Überaus beeindruckend«, wiederholte Aurelius das Lob seiner Tochter, der sich nach Livias überschwänglichem Bericht zu Krates’ Vortrag aufgemacht hatte.
»Danke«, lächelte Krates und schaute glücklich in die Runde seiner anerkennend nickenden Zuhörer. Der Vortrag war ein voller Erfolg gewesen. Crassus hatte an die dreißig Gäste geladen, Senatoren und Feldherren, Gelehrte und reiche Kaufleute. Sie hatten ihm interessiert zugehört und waren nun dabei,
sich während des anschließenden Umtrunks miteinander auszutauschen.
»Und dein Erdball«, bemerkte Crassus, »ist ja ein wahres Meisterwerk!«
»Krates«, begrüßte ihn Scipio mit einer herzlichen Umarmung, »ich möchte dir zwei meiner Freunde vorstellen: Polybios aus Megalopolis und Caius Laelius.«
Krates drückte ihnen die Hand und fand beide auf Anhieb sympathisch. Laelius mochte etwa genauso jung sein wie Scipio, Polybios dagegen musste etwa in Krates’ Alter sein und sprach ein gepflegtes Griechisch, das auf eine gehobene Herkunft schließen ließ.
»Polybios«, erklärte Scipio stolz, »bewegt sich hauptsächlich auf dem Gebiet der Historiographie.«
»Für die aber«, ergänzte Polybios, »das geographische Weltverständnis eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Deine Ausführungen haben mir sehr gefallen, Krates. Vor allem die Idee mit dem Holzglobus! Denn auch, wenn dein Vortrag nichts grundlegend Neues beinhaltete, so hast du mit deiner Zauberkugel doch genau ins Schwarze getroffen. Die verstaubten Gedanken weit entfernter Wissenschaftler werden auf einmal transparent und greifbar.«
Krates freute sich über das Lob, hielt aber gleichzeitig nach einer Sitzgelegenheit Ausschau. Sein tägliches Training hatte es ihm immerhin ermöglicht den Vortrag im Stehen zu halten, doch allmählich verließen ihn die Kräfte. Er bat um Entschuldigung und setzte sich vorsichtig in einen Sessel.
»Wie wäre es mit einem Schluck Wein?« fragte Crassus, während sich der greise Senator Sempronius Gracchus zu ihnen gesellte.
»Dein Vortrag«, begann er mit heiserer Stimme, »hat mir wirklich gut gefallen. Aber eine Frage hätte ich doch gerne von dir beantwortet.«
»Natürlich«, erwiderte Krates mit einer höflichen Verbeugung und bemühte sich all die Abscheu zu vergessen, die er seit dem Anhörungstermin vor dem Senat für diesen Mann empfand.
»Mal angenommen«, hob der Senator an und reichte Krates die Weinschale, die er von Crassus erhalten hatte, »es gäbe diese Länder der Antipoden oder Antöken oder wie immer sie sich nennen wirklich. Und nehmen wir ferner an, diese Länder wären tatsächlich so reich an Rohstoffen, dass es sich lohnen würde, sie in den von dir animierten Expeditionen auszubeuten. Dann bleibt doch immer noch das Problem der Entfernung, die offenbar beträchtlich sein muss, sonst wären uns diese Länder ja längst bekannt. Aber der Okeanos ist wild und man wird wohl damit rechnen müssen, dass ein Großteil der Transportschiffe, die die für uns relevanten Rohstoffe nach Rom schiffen würden, ihr Ziel nie erreichen. Wozu also sollten wir uns in solche Kosten und Mühen stürzen, wenn es doch viel einfacher ist, erst einmal die Welt vor unserer Haustür auszubeuten?«
Für einen kurzen Moment brach Krates der kalte Angstschweiß aus, doch dann besann er sich seiner Rolle als Philosoph und Gesandter und entschied sich zu einer diplomatischen Antwort: »Es steht mir nicht zu, euch zu raten, warum ihr dieses oder jenes machen sollt. Ich sehe meine Aufgabe eher darin, euch auf die geographischen Möglichkeiten hinzuweisen, mittels derer es euch gelingen könnte, die erforderlichen Rohstoffe auch auf friedlichem Wege zu erlangen.«
»Eine kluge Antwort«, lächelte der Senator hintersinnig. »Aber was würdest du persönlich machen?«
»Gar nichts«, erwiderte Krates grinsend, der mit dieser Gegenfrage schon gerechnet hatte. »Denn mir stehen weder eure Streitmacht noch eure Flotte zur Verfügung und ich habe leider auch nicht genügend Phantasie, um mich in den Prozess einer politischen Entscheidungsfindung hineinzuversetzen.«
Sempronius Gracchus warf ihm einen stechenden Blick zu. Dann lächelte er anerkennend und bedankte sich für die Antwort.
»Beim Apollo!« rief ein beleibter Mann aus den hinteren Reihen und öffnete dabei theatralisch seine Arme. »Welch wunderbare Chance für ein Drama. Ich sehe es schon vor mir«, fuhr er mit gesalbter Stimme fort, während er mit wedelnden Händen durch die Reihen der Gäste tänzelte. »Zwanzig Schiffe, bis an die Zähne bewaffnet, starten von Ostia zu den Säulen des Herakles. Aber nur vier kehren zurück, reichlich demoliert, die Mannschaften von unheimlichen Krankheiten geschwächt und alles, was sie an Rohstoffen mitbringen, ist der Seetang, der unterwegs an Bord gespült wurde.«
»Wer ist das denn?« wandte sich Krates an Scipio, während das Gelächter der Gäste durch den Raum hallte.
»Lucius Ambivius Turpio«, antwortete ihm Scipio leise. »Er ist Schauspieler und Direktor des kleinen Theaters am Palatinus.«
»So ein Spinner!« lachte Polybios leise.
»Immerhin ein erfolgreicher Spinner«, setzte Scipio hinzu.
»Stimmt. Auf der Bühne ist er wirklich beeindruckend. Und das Publikum liegt ihm zu Füßen. Aber seine Einlage bringt mich auf eine ganz andere Idee, Krates. Warum hältst du uns nicht mal einen Vortrag über die Kunst der Sprache? Ein bisschen Rhetorik, ein paar Epigramme, du weißt schon. So etwas müsstest du doch eigentlich aus dem Ärmel schütteln können.«
Krates zeigte sich erstaunt. »Ich hatte bisher nicht den Eindruck, dass hier derlei Themen sonderlich gefragt wären.«
Polybios grinste ihn von der Seite an. »Naja, Bedarf gibt es hier im Überfluss.
Aber ich hatte dabei auch mehr an dich gedacht. Denn so, wie ich dich einschätze, wirst du doch irgendwann sicher wieder in deine Heimat zurückkehren wollen, nicht wahr? Aber eine solche Reise kostet viel Geld und Cornelius hat ehrlich gesagt nicht die Mittel, um dir das vorstrecken zu können. Du wirst dich also früher oder später zwangsläufig mit der Frage auseinandersetzen müssen, wie du zu Geld kommst.«
Krates lief vor Beschämung rot an, denn er war in letzter Zeit so sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, dass er diesen Aspekt überhaupt nicht bedacht hatte. »Das ist richtig«, stammelte er leise. »Beim Zeus, ich danke dir. Und du hast ja Recht. Diese Vorträge sind tatsächlich eine gute Möglichkeit mir etwas Geld zu verdienen. Aber dazu bräuchte ich Hilfe von außen.«
»Kümmere du dich um deine Vorträge«, ermunterte ihn Polybios und klopfte ihm dabei freundschaftlich auf die Schulter. »Den Rest erledigen Scipio und ich.«
Der Herbst ging allmählich in den Winter über und die Genesung von Krates’ gebrochenem Schienbein machte gute Fortschritte, was wohl nicht nur an der liebevollen Pflege der Scipionen, sondern auch an seinem hartnäckigen Training lag. Krates befand sich nun seit fast drei Monaten in Rom und konnte schon wieder ohne Krücken laufen, zwar langsam und humpelnd, aber immerhin frei beweglich. Livia und er sahen sich jeden Tag und das Gefühl des Verliebtseins schien sich nicht zu verflüchtigen.
Scipio war viel unterwegs, doch wenn sie sich sahen, war es jedes Mal ein Erlebnis, bei dem sie zu zweit oder dritt, manchmal auch im Kreis von zehn oder fünfzehn Männern zu Tische lagen und über das Leben philosophierten. Polybios schien in der Villa des Cornelius ein und auszugehen und Krates konnte gut verstehen, was Scipio an dem kräftigen Griechen aus Megalopolis so sehr faszinierte. Es war die überzeugende und sichere Art seines Auftretens, die konsequente Geradlinigkeit seines Charakters und die intellektuelle Kompromisslosigkeit, wenn es um die Verfechtung seiner Ideale ging. Überdies besaß Polybios gute Manieren, einen feinen Sinn für Humor und noch manch andere Fertigkeit, die ihn im Kreise der Reichen und Mächtigen zu einem willkommenen Gast machten. Doch Krates konnte diese Begeisterung nicht vollends teilen und brauchte einige Zeit, bis er herausfand, was ihn an Polybios so sehr irritierte: Es war der politische Beigeschmack, der nahezu allem anhaftete, was dieser Mann von sich gab. Denn überall dort, wo für Krates ethische oder moralische Grundsätze standen, hatte Polybios seine politischen Ideale, für die er sich so vehement einsetzte, dass nahezu jede Diskussion in einem langweiligen Debakel endete, das bei den ebenso hitzig vertretenen Idealen seiner römischen Gesprächspartner nur selten zu einem Ergebnis führte.
Gegen Jahresende wurde es richtig kalt und Rom versank für ein paar Tage im Schnee. Krates’ Bein war wieder vollständig genesen und auch das Laufen bereitete ihm keinerlei Probleme mehr. Livia und er machten lange Spaziergänge durch die Stadt oder zum Marsfeld hinaus, entlang der Tiberufer oder auf den Quirinalis, um sich anschließend am Kaminfeuer in Aurelius’ Haus aufzuwärmen und bei einem heißen Tee ins Erzählen zu kommen. Zwischendurch ergab es sich immer wieder, dass er dem einen oder anderen Römer seine Bibliothek sortierte und dabei gute Einnahmen erzielte. Seine täglichen Lateinübungen zeigten deutliche Erfolge und so konnte er sich mittlerweile schon einigermaßen flüssig auf römisch unterhalten.
Eines Tages machte er sich auf den Weg zum Forum Boarium, um den jungen Terentius zu besuchen. Scipios
Freund hatte ihn schon mehrfach zu sich eingeladen, doch irgendwie hatte es sich nie ergeben. Fröstelnd schlenderte Krates über den Vicus Jugarius. Die schmutzigen Schneeklumpen an den Straßenrändern und der beißende Qualm, der sich aus den zahlreichen Schornsteinen in die Straßen hinab senkte, verliehen der nachmittäglichen Szene einen düsteren Anstrich. Er schob sich durch den dichten Verkehr in den Vicus Maximus und erreichte schließlich das Haus, in dem Terentius wohnte. Krates betrat ein großes Treppenhaus, in dem es nach abgestandenem Essen und verfaultem Holz roch. Hinter den Türen plärrten irgendwelche Kinder und er hörte einen Mann brüllen, der ganz offensichtlich seine Frau verprügelte. Häusern, die mehr als zwei Stockwerke besaßen, war er noch nie begegnet und so staunte er über die architektonische Leistung so viele Menschen auf so wenig Grundfläche unterzubringen. In der dritten Etage wurde er bereits von Terentius erwartet, der ihn durch den Hof kommen sah, und nun überschwänglich begrüßte.
Terentius schien ein sehr ordentlicher Mensch zu sein, denn die Wohnung war trotz des unangekündigten Besuches penibel aufgeräumt und sauber. Bewundernd stand Krates in der Stube des jungen Mannes und schaute sich um. Die Wohnfläche bestand eigentlich nur aus dem Eingangsflur, der direkt in die Wohnstube mündete und der nebenan liegenden Küche. Terentius hatte sich schlicht, aber überaus geschmackvoll möbliert und bot seinem Gast einen Lehnstuhl sowie einen Becher heißen Tee an. Krates setzte sich dankbar und öffnete seinen Mantel, um die Wärme des kleinen Holzofens an seinen Körper zu lassen.
»Schön hast du es hier«, nickte er Terentius zu.
»Es ist ein bisschen klein, aber für mich allein reicht es.«
»Das einzige, was mich irritiert, ist das Fehlen einer Latrine.«
Terentius lachte. »Das ist hier keine Villa, Krates. Ich habe einen Eimer und einen Nachttopf, der einmal am Tag geleert werden muss.«
»Und woher beziehst du dein Wasser?«
»Unten im Hof ist ein Brunnen, der von den Wasserleitungen gespeist wird. Ich bringe morgens den Latrineneimer hinunter und komme mit dem Trinkwassereimer wieder herauf.«
Krates warf einen besorgten Blick in seinen Becher.
»Keine Angst«, lachte Terentius. »Ich habe mehr als einen Eimer. Das ist zwar mühsam, aber so läuft das hier eben. Und ich habe noch Glück, denn meine Fenster öffnen sich zur Straße hinaus. Andere Wohnungen orientieren sich zum Hinterhof und der Gestank dürfte dir kaum entgangen sein.«
»Ja, ich erinnere mich« erwiderte Krates und deutete mit dem Kopf auf den benachbarten Tisch, auf dem ein dicker Stoß beschrifteter Papyrusblätter lag. »Schreibst du selbst?«
»Ja, ich arbeite gerade an einer Komödie.«
»Eine Komödie?« rief Krates begeistert. »Wie spannend. Hast du denn so etwas schon einmal gemacht?«
»Um ehrlich zu sein: Nein. Aber ich habe viele Aufführungen im Ludus Palatinus gesehen und noch mehr Stücke gelesen. Und ich wundere mich, wie leicht es mir fällt selbst eines zu schreiben.«
»Bei allen Göttern, das imponiert mir.«
»Danke«, erwiderte Terentius stolz.
»Und denkst du dir den Stoff selbst aus oder kopierst du die Stücke älterer Meister?«
Terentius lächelte still. »Kann man sich denn wirklich etwas Neues ausdenken? Ich meine, wenn euer Philosoph Platon Recht hat, ist doch alles, was man sich ausdenken kann, längst existent.«
Krates war verblüfft. »Woher kennst du denn die Ideenlehre?«
Terentius strahlte ihm triumphierend an. »Du vergisst, dass ich viel mit Scipio unterwegs bin. Außerdem finde ich Platons Ideenlehre gar nicht so übel. Aber um auf deine Anfangsfrage zurückzukommen: Ich verbinde das eine mit dem anderen. Einige Teile, die mir in den Stücken von Menander und Plautus gut gefallen, habe ich übernommen, das meiste andere dichte ich hinzu. Es wird eine Beziehungskomödie über die sittlichen Schwierigkeiten des Loslösungsprozesses von Vater und Sohn.«
»Hmm«, überlegte Krates. »Ein weitläufiges Thema.«
»Stimmt. Aber voller Konfliktstoff, der zum Lachen reizen kann, weil ihn jeder kennt, sei es aus der Sicht des Vaters oder des Sohnes.«
Krates freute sich über den jugendlichen Eifer und musste schmunzeln. Terentius schien so sehr von sich und seinem Stück überzeugt, dass es nur ein Erfolg werden konnte. »Und hast du für deine Komödie schon einen Namen?«
»Ich denke, ich werde sie ›Andria‹ nennen.« Er schob die Papyrusblätter auf seinem Schreibtisch zusammen und schichtete sie säuberlich zu einem Stapel. »Dreiviertel des Stücks habe ich schon fertig geschrieben. Den Rest hoffe ich bis zum Frühjahr zu schaffen.«
»Willst du die Komödie dann aufführen lassen?«
Terentius schluckte. »Es wäre das Schönste, was ich mir vorstellen kann. Aber ich kenne leider niemanden, der für eine Aufführung sorgen könnte.«
»Was ist denn mit Turpio?«
»Ambivius Turpio?« fragte Terentius ehrfürchtig. »Er ist der Halbgott der römischen Komödie. Aber wir sind uns ja nie begegnet. Und er wird sicherlich auch besseres zu tun haben als sich mein Stück anzuschauen.«
Krates hatte plötzlich eine Idee und fragte Terentius, ob er ihn zum Essen einladen dürfe. Draußen begann es bereits zu dämmern und der kalte Westwind hatte deutlich zugelegt. Sie folgten der Straße bis zur Nordflanke des Circus Maximus und eilten die Stufen der Treppengasse hinauf, die zu der kleinen Taverne führte, in der Krates einst mit seiner pergamenischen Gesandtschaft gespiesen hatte. Doch anstatt die Taverne zu betreten, schritt er den kleinen Weg stadteinwärts und führte Terentius bis vor ein kleines Haus am Nordhang des Palatinus.
»Was machst du?« fragte Terentius.
»Ich hole uns noch einen dritten Mann zum Essen.«
Als ein Sklave die Tür öffnete, sagte Krates nur, er wolle seinen Herrn sprechen und wartete geduldig, bis Turpio erschien. Sie begrüßten sich herzlich und Krates fragte, ob er ihn zum Essen einladen dürfe, da er mit ihm und dem jungen Mann an seiner Seite etwas besprechen wolle, das auch in Turpios Interesse liegen könne. Um Terentius zu überraschen, hatte er die Unterhaltung leise geführt und sich dabei bemüht den Namen seines Gegenübers kein einziges Mal zu nennen. Turpio wiederum war zwar überrascht, freute sich aber über die Einladung und so schritten sie zu dritt durch die Abenddämmerung auf den Palatinus.
»Na, dann lass mal hören«, lachte Turpio, als sie ihren Wein bekommen und die Bestellung aufgegeben hatten.
»Es geht um folgendes«, begann Krates. »Mein junger Freund Terentius ist gerade dabei, eine Komödie zu dichten, und nach allem, was er mir davon erzählt hat, würde ich meinen, dass es sich für dich lohnen könnte, da wenigstens mal einen Blick drauf zu werfen.«
»Über was schreibst du denn?«
»Eine Beziehungskomödie«, antwortete Terentius, der noch immer nicht ahnte, mit wem er sich da unterhielt. »Eine Geschichte mit Liebe und Hochzeit, mit Verwechslungen und Streitereien und dem immer wieder herausstechenden Konflikt um die Schwierigkeiten einer sauberen Loslösung von Vater und Sohn.«
»Hört sich gut an«, nickte Turpio. »Wie viele Rollen hast du?«
»Insgesamt zwölf.«
»Prima. Und wie weit bist du mit deinem Stück?«
»Nun, dreiviertel habe ich fertig. Und den Rest werde ich wohl bis zum Frühjahr schaffen.«
Turpio wog seinen großen Lockenkopf hin und her. »Schade, dann wird das nicht hinhauen. Ich weiß ja noch nicht einmal, ob dein Stück überhaupt etwas taugt. Aber wenn doch, wär es schön, wenn wir es noch im Frühjahr auf die Bühne bringen könnten.«
»Das wäre grandios«, freute sich Terentius.
»Wann könntest du mir dein Stück zeigen?«
»Nun, ich wohne ganz in der Nähe und es liegt auf meinem Schreibtisch …«
Turpio überlegte kurz und nickte. »In Ordnung. Aber beeil dich!«
Terentius griff hastig nach seinem Mantel und stürmte aus dem Lokal.
»Danke, dass du dir die Zeit nimmst«, lächelte Krates.
»Woher kennst du den Knaben überhaupt?«
»Er ist einer von Scipios besten Freunden, den ich bei einem Festmahl meines Gastgebers kennen lernte. Ein ehrbarer Mann mit jugendlichem Eifer und einem humorvollen Geist.«
»Naja, wenn sein Stück gut ist, dann habe ich tatsächlich etwas davon. Es ist nämlich derzeit gar nicht so leicht, an neue Komödien heranzukommen. Und immer nur die alten Kamellen von Menander, Plautus und Ennius aufzuführen, ist auch nicht ganz nach meinem Geschmack.«
Es dauerte nicht lange, bis Terentius zurückkehrte. Völlig außer Atem und mit frischem Schnee im Haar ließ er sich auf die Bank fallen und schob sein Manuskript über den Tisch. Turpio zog die Kerze zu sich heran und überflog die ersten Blätter. Während er anfangs noch still las und nur mit der rechten Hand theatralisch gestikulierte, musste er bald lachen und begann laut vorzulesen. Gekonnt brachte er die kunstvollen Metren zur Geltung und verstellte für die unterschiedlichen Charaktere sogar seine Stimme. Schließlich setzte er die Papyri ab und bedachte Terentius mit wohlwollenden Blicken.
»Das ist wirklich beeindruckend, mein Junge. Du kannst wunderbar schreiben! Deine wievielte Komödie ist das?«
»Meine erste«, erwiderte Terentius schüchtern.
»Kaum zu glauben«, staunte Turpio. »Kannst du dich mit der Fertigstellung beeilen? Dann verspreche ich dir, dass ich dein Stück auch aufführen werde.«
»Du?« fragte Terentius irritiert, der langsam begriff, dass Turpio kein einfacher Mittelsmann sein konnte.
Turpio warf Krates einen fragenden Blick zu.
»Ich habe ihm nicht gesagt, wer du bist«, lachte Krates. »Nachher hättest du sein Stück abgelehnt und er würde sich womöglich noch schämen.«
»Darf ich mich vorstellen«, schmunzelte Turpio mit gesalbter Stimme, »mein Name ist Lucius Ambivius Turpio.«
Terentius bekam große Augen und begann zu lachen. »Ihr wollt mich wohl auf den Arm nehmen?«
Krates und Turpio lachten mit ihm, konnten ihn aber schließlich von der Authenzität ihrer Begegnung überzeugen. Um Terentius aus seiner jugendlichen Beschämung zu retten, erzählte ihnen Krates von seiner ersten Begegnung mit König Eumenes, mit dem er damals ebenso munter drauflos geschwatzt hatte, ohne zu wissen, mit wem er eigentlich sprach. Das Essen wurde serviert und sie begannen eine angeregte Diskussion über das römische Theater und seine zunehmende Vorliebe für derbe und im Vergleich zu den Zeiten Menanders und Plautus’ doch eher niveaulose Possenstücke. Schließlich erhob sich Turpio, der allmählich nach Hause wollte.
»Vielen Dank für den schönen Abend, Krates. Und du, mein junger Freund,
meldest dich, sobald du mit deinem Stück fertig bist, ja?«
»Das werde ich machen«, erwiderte Terentius, der freudig aufgestanden war, um Turpio die Hand zu drücken.
Krates zahlte die Rechnung und machte sich mit Terentius auf den Rückweg zum Vicus Maximus.
»Mann, Krates!« lachte Terentius. »Wie soll ich dir nur danken?«
»Indem du dein Stück fertig schreibst und mich zur Premiere einlädst. Außerdem hätte ich von deiner Komödie gerne eine Abschrift für unsere Bibliothek in Pergamon.«
»Ist das dein Ernst?« fragte Terentius mit bebender Stimme.
»Aber natürlich.«
Terentius nahm Krates überraschend in die Arme und drückte ihn fest an sich. Sie winkten sich noch einmal und gingen ihrer Wege, der eine in die stinkenden Hinterhöfe am Vicus Maximus, der andere zu den luxuriösen Villen des Velabrums.
Der Saal war mit großem Aufwand geschmückt. An den Wänden hingen Girlanden und zwischen den Stühlen befanden sich in regelmäßigen Abständen kleine Tischchen, auf denen Schalen mit Leckereien und verschiedene Getränke zur Auswahl bereit standen. Im Kamin des hinteren Raumabschlusses prasselte ein wärmendes Feuer und die zahlreichen Öllampen warfen den Saal in ein gemütliches Licht. Marcus Fabricius hatte sich alle Mühe gegeben, Krates’ Vortrag zu einem gesellschaftlichen Ereignis werden zu lassen und so eilten seine Hausdiener zu den eintreffenden Gästen, um ihnen die Mäntel und Decken abzunehmen und sie zu ihren Plätzen zu führen. Krates saß derweil in einem Nebenraum und konsultierte noch einmal seine Vortragsnotizen.
»Bist du soweit?« fragte ihn Polybios aufmunternd.
»Ich denke schon.«
»Na dann«, rief Polybios augenzwinkernd. »Hals und Beinbruch!«
»Oh nein!« lachte Krates. »Nicht noch einmal.«
Als es im Vortragssaal allmählich still wurde und er nur noch die nervöse Stimme des Senators Fabricius hörte, faltete er seine Papyri zusammen und steckte sie in die Tasche seines Mantels. Er hörte Fabricius’ Ankündigung und atmete einmal tief durch, öffnete beherzt die Tür und schritt mit einem freundlichen Lächeln in den Saal. Doch so sehr sich Krates auch bemühte, es wollte ihm einfach nicht gelingen sein Publikum von der Kunst der Sprache zu begeistern. Mehr als zwanzig Gäste hatten den Saal während seines Vortrags verlassen und so zollten ihm am Ende von den anfänglich zweiundvierzig erschienenen Zuhörern gerade noch fünfzehn ihren Beifall. Da die Stimmung für die im Anschluss geplante Diskussion nicht mehr aufkommen wollte, brachen sie die Veranstaltung frühzeitig ab.
Krates nahm seinen Mantel und begleitete Scipio, Polybios und Cornelius zurück ins Velabrum. Der Vortrag hatte ihm weitere zweihundert Denare für seine Reisekasse gebracht und das war immerhin etwas.
Im Velabrum angekommen, ging Krates gleich in sein Zimmer und warf sich deprimiert aufs Bett. Der Abend war erniedrigend gewesen und er ärgerte sich über seine Naivität, die ihn ernsthaft hatte glauben lassen den Römern mit seinem Vortrag einen Gefallen zu erweisen.
Am nächsten Morgen setzte er sich in die Bibliothek und studierte gerade ein Drama des Ennius, als sich Cornelius zu ihm gesellte.
»Wie hat dir dein gestriger Vortrag eigentlich gefallen?«
Krates warf ihm einen düsteren Blick zu. »Der Abend war eine einzige Niederlage. Ich bin nur froh, dass ihr mich dafür bezahlt habt. So waren meine Bemühungen wenigstens nicht gänzlich umsonst.«
»Ich kann deine Enttäuschung verstehen, Krates, aber danach habe ich nicht gefragt. Und für die Qualität deines Publikums bist du auch kaum verantwortlich. Ich wollte viel mehr wissen, ob du mit dem Inhalt deines Vortrags einverstanden warst. War er so gut, dass du ihn beim nächsten Mal genau so halten würdest oder warst du mit dir selbst unzufrieden?«
Krates schüttelte langsam den Kopf. »Es wird kein nächstes Mal geben. Aber um dir wenigstens auf deine Frage zu antworten, kann ich dir sagen, dass der Vortrag an und für sich gut war und ich ihn auch unter anderen Vorzeichen nicht anders gehalten hätte.«
Cornelius schenkte ihm ein verschmitztes Lächeln. »Schön, dass du das genau so siehst. Denn auch wir sind der Meinung, dass deine Rede wirklich hervorragend war. Zumindest so gut, dass wir sie wiederholen sollten.«
Krates lachte bitter. »Vergiss es! Das mache ich nicht noch einmal.«
»Jetzt hör mir mal gut zu, Krates. Du hast für den Abend 200 Denare bekommen. Dafür müssen andere Leute in Rom ein ganzes Jahr arbeiten. Aber du solltest es vielleicht auch einmal aus einer ganz anderen Perspektive betrachten: Einen Vortrag, wie du ihn gestern bei Fabricius gehalten hast, hat es in Rom noch nie gegeben. Wie willst du da auf Anhieb die richtigen Zuhörer finden? Wenn es nach mir ginge, würde ich den ganzen Senat zu einer Teilnahme verpflichten, aber meine Meinung spielt hier leider keine Rolle.
Also mussten wir uns selbst nach möglichen Interessenten umsehen. Und immerhin lagen wir mit einem Drittel der geladenen Gäste richtig. Das finde ich gar nicht so schlecht, zumal mich heute Morgen schon die ersten Kommentare erreichten, wie gut ihnen deine Ausführungen gefallen haben. Und sie waren sogar so angetan, dass sie mich fragen ließen, wann du deinen nächsten Vortrag hältst.«
Krates warf ihm einen skeptischen Blick zu.
»Wirklich, Krates! Deine Auftrittesind wichtig. Der Vortrag, den du bei Crassus gehalten hast, dürfte dir gezeigt haben, wie begeisterungsfähig wir Römer sein können. Doch um die Verantwortung zu erfassen, die uns bei der Erforschung unserer Welt obliegt, bedarf es eines intellektuellen Kulturverständnisses, das wir Römer in der Form einfach noch nicht haben. Deine Vorträge sind ein Vorstoß in die richtige Richtung und vielleicht der erste Schritt auf unserem langen Weg in eine eigene Geisteskultur.«
»Und was ist mit Ennius?« wandte Krates ein. »Oder mit Plautus und eurem jungen Freund Terentius? Sind sie und ihre Dramen denn nicht die Zeichen einer intakten Kultur?«
Cornelius schloss die Augen und lachte leise. »Dramen …«, sagte er nur verächtlich. »Ich denke, das einzige Drama, das unsere Kultur je zustande gebracht hat, ist die Unfähigkeit ihre intellektuellen Vorbilder als solche zu erkennen und von ihnen zu lernen. Plautus und Ennius waren auf einem guten Weg. Aber die meisten römischen Theaterstücke, die heute noch aufgeführt werden, sind derbes Zeug, dessen Intellekt vielleicht im Wortwitz und der komplizierten Handlung liegt, aber nicht in der Aussage des Gesamtwerks. Und was ihre Sprache anbelangt …« Cornelius schnaubte und machte eine abfällige Geste, »… so ist selbst das Marktgeschrei der Fischhändler auf dem Forum Boarium noch anspruchsvoller.«
»Wie vernichtend«, schmunzelte Krates.
»Ja, das ist es wohl. Aber warum soll man nicht auch einmal sagen, wie es ist? Wir Römer sind schnell dabei, wenn es darum geht, andere Völker als unterentwickelt oder gar barbarisch einzustufen. Dabei haben wir zurzeit nichts, auf das ein auch nur halbwegs intellektueller Mensch stolz sein könnte. Ich würde es zum Beispiel begrüßen, wenn meine Landsleute mehr lesen und durch die Lektüre der griechischen Autoren endlich einmal lernen würden, über ihren eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Aber dazu bedarf es eines gewissen Grundinteresses und das müssen wir erst einmal wecken. Ich selbst werde diesen Idealzustand meiner Träume wohl nicht mehr miterleben. Aber für meinen Adoptivsohn Scipio wünsche ich mir nichts sehnlicher als ein Rom, das seine eigenen Dichter hat, die des Dichtens mächtig sind und unsere Stadt in unserer eigenen Sprache besingen.«
Cornelius hatte sich in Fahrt geredet und Krates erkannte, wie wichtig ihm dieses Thema war. »Ich bitte dich also, Krates, und wenn du es nur um meinetwillen tust. Setze deine Vortragsreihe fort und lass dich nicht von den Idioten abschrecken, die immer noch meinen, die Welt mit Gewalt erobern zu können, anstatt durch kluge Argumente.«
»Na schön«, lenkte Krates schließlich ein. »Wenn es dir Freude macht, dann wollen wir es so halten.«