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Kapitel 11

Als Krates im Morgengrauen erwachte, ging ein Raunen durch die Ebene und es kam ihm vor, als würden sämtliche Kräfte der Erde gleichzeitig rufen. Er hatte eine unruhige Nacht hinter sich, denn er war es nicht gewohnt unter freiem Himmel zu schlafen. Das Feuer, an dessen Seite er gelegen hatte, war längst erloschen und die kalte Asche vom Morgenwind zerstreut. Er holte sich aus den Proviantsäcken das Nötige und frühstückte mit seinen Treibern. Eine gute Stunde später rief Timarchos zum Aufbruch und der Handelszug setzte sich langsam in Bewegung. Wie schon bei seinem letzten Ritt aus Mallos kam es Krates wieder so vor, als würde sich eine ganze Armee in Bewegung setzen und ihn schauderte bei der Vorstellung an die Heere des Makedonenkönigs Alexandros, die ja noch um ein vielfaches größer gewesen sein mussten. Wie mochten sich wohl die Menschen in den feindlichen Städten gefühlt haben, wenn sie eine solche Übermacht auf sich zukommen sahen?
Bis zum Mittag bewegten sie sich auf einem Weg, den Krates von seinen früheren Ausritten kannte. Der Weg war angenehm breit und wand sich in endlosen Serpentinen die Berge hinauf. Als sie die Stelle erreichten, über die Krates nie hinausgekommen war, wurde der Weg steiler. Alexandros empfahl ihm abzusitzen, weil er sein Pferd dann entlasten und es auch besser über die spitzen Steine und Felskanten führen könne. Anfangs machte ihm die erdrückende Hitze zu schaffen, doch je höher sie kamen, desto kühler wurde es. Bald hatten sie die Baumgrenze erreicht und konnten auf den Gipfeln vereinzelte Schneereste sehen, die sich offensichtlich bis in den Sommer dort gehalten hatten. Obwohl der Weg fortlaufend durch ein Flusstal führte, kletterten sie höher und höher. Mit zunehmender Anstrengung erstarben auch die letzten Gespräche der Treiber und Zugführer. Jeder schien nur noch mit sich und seinen Aufgaben beschäftigt und Krates fühlte sich auf einmal sehr einsam und hilflos. Als Timarchos am frühen Nachmittag halten ließ und eine kurze Pause anordnete, in der die Tiere am örtlichen Fluss trinken sollten, war Krates so erschöpft, dass er kraftlos ins Gras fiel.
»Bei allen Göttern«, wandte er sich keuchend an seine Treiber. »Ihr habt ja wahrhaftig eine anstrengende Arbeit.«
Die Treiber schmunzelten über das Klagen des jungen Philosophen, aber sie zollten ihm auch Respekt; schließlich war nicht jeder bereit die Strapazen eines so weiten Weges auf sich zu nehmen, um seine Ziele zu erreichen.
Philemon, der Rangälteste seiner Treiber, nahm seinen Wasserschlauch und setzte sich zu ihm. »Du solltest etwas trinken.«
»Danke, ich habe momentan keinen Durst.«
»Du hast auf dem Weg viel geschwitzt«, beharrte Philemon. »Glaub mir, es ist wichtig, dass du genügend trinkst.«
Krates erkannte die Ernsthaftigkeit, mit der ihm sein Treiber zusprach und nickte. Er ging zu Pluto und holte sich seinen Wasserschlauch, um ein paar große Schlucke zu nehmen.
»Füll ihn am besten gleich wieder auf«, ermunterte ihn Philemon. »Die nächste Quelle erreichen wir erst heute Abend.«
Als Krates die Lederschläuche in die eiskalten Wasser des Gebirgsbaches tauchte, rutschte ihm der Talisman aus dem Hemd, den er einst von Hippias geschenkt bekommen und sich an seinem letzten Abend in Tarsos wieder umgehängt hatte.
»Was ist das denn?« fragte ihn sein Treiber Hegesias, der um einiges jünger war als er.
»Ein Talisman, den mir mein bester Freund geschenkt hat, als ich aus meiner Heimatstadt nach Tarsos ritt. Doch wenn er seinen Besitzer wirklich schützt, hätte er ihn wohl lieber behalten sollen.«
»Weshalb?«
»Nun, als ich neulich in Mallos war, erfuhr ich, dass mein Freund seit jenem Tage verschwunden sei, an dem die Piraten die Stadt angriffen. Vielleicht ist er noch am Leben und ist einfach nur an einen anderen Ort gezogen. Aber das kann ich mir bei ihm nicht vorstellen. Ich fürchte eher, dass ihn die Seeräuber getötet oder versklavt haben. Und sollte letzteres der Fall sein, dann mögen ihm die Götter beistehen.«
»Diese Schlangen!« zischte Hegesias und Krates konnte ihm ansehen, dass sein Hass nicht gespielt war. »Möge sie Poseidon allesamt ersaufen lassen!«
»Bist du ihnen mal persönlich begegnet?« fragte er vorsichtig.
»Ich stamme ursprünglich aus Aphrodisias«, erläuterte ihm Hegesias mit seinem starken kilikischen Akzent, »einem kleinen Hafenstädtchen unten an der Küste, südlich von Seleukia. Mein Vater war Fischer und meine Mutter hat sich als Näherin verdingt. Es ging uns nicht gut, aber wir konnten leben. Bis zu jenem Tag, als die Piraten kamen. Ich war noch ein Kind, kaum älter als zwölf Jahre und hatte mich unter dem Bett meiner Eltern versteckt. Meinen Vater und die anderen Fischer hatten sie schon auf dem Meer getötet. Aber meine Mutter haben sie erst vergewaltigt, bevor sie sie an den Haaren aus dem Haus geschleift haben. Ich habe zitternd unter dem Bett gelegen und musste mit anhören, wie sie meine Mutter quälten.
Ein paar Tage später spülte das Meer die Leiche meines Vaters an Land. Erst dachten wir, es wäre Treibgut, doch dann erkannten wir die hässlichen Wunden an seinem Kopf. Unsere Nachbarn haben mir geholfen, ihn zu begraben. Sie nahmen mich bei sich auf und haben einfach so getan, als hätte ihnen das Haus meiner Eltern schon immer gehört. Vier Jahre später drückten sie mir etwas Geld in die Hand und schickten mich fort. Ich zog über Seleukia nach Tarsos und bin dort schließlich Timarchos begegnet, der mich als Treiber in seiner Karawane aufnahm.«
Krates war schockiert über das schlimme Schicksal, das sein Treiber schon so jung hatte erleiden müssen. Er wollte ihm noch etwas sagen, doch das Horn des Timarchos rief zum Aufbruch und so saßen sie wieder auf.
Der Weg wurde nun etwas flacher, so dass sie bis zum frühen Abend reiten konnten. Erst kurz vor dem Pass wurde er so steil und steinig, dass sie abermals absitzen und ihre Pferde von Hand führen mussten. Als sie das Gipfelplateau des unteren Passes erreicht hatten, gab Timarchos das Zeichen zum Kampieren. Die Pferde und Esel wurden an schwere Felsbrocken geleint, einige Treiber sammelten Feuerholz, andere fütterten die Tiere und beäugten ihre Beine und Hufe. Zufrieden registrierte Krates, dass sich seine sechs Treiber gewissenhaft um die Pferde kümmerten und dabei auch kontrollierten, ob die Lasten noch anständig saßen.
»Morgen Mittag«, schwärmte Alexandros, der sich mit einem Stück Dörrfleisch neben Krates niederließ, »überqueren wir den oberen Pass der Kilikischen Pforte. Und du wirst sehen, es ist herrlich da oben. Normalerweise würde man erwarten, dass es auf der anderen Seite wieder abwärts geht, aber man gelangt dort nicht wieder ganz nach unten, sondern in eine riesige Hochebene, die sich über tausende von Stadien bis nach Ankyra zieht.«
Krates hörte ihm interessiert zu, während er aus Plutos Sattel eine Decke nahm, die er auf dem steinigen Boden ausbreitete, um später darauf zu schlafen. Er schaute dem kleinen Omikron zu, wie er fachmännisch das Feuer in Gang setzte und es mit den dünnen Ästen und Zweigen in Gang hielt, die er unterwegs gesammelt hatte. Timarchos hatte ihm den Jungen zugeteilt, obwohl er noch keine zehn Jahre alt und in der Karawane mit Abstand der Jüngste war.
»Warum nennen sie dich eigentlich Omikron?« fragte er. »Denn das ist doch sicherlich nicht dein richtiger Name, oder?«
Der Junge strahlte ihn fröhlich an.
»Er ist stumm«, erklärte Alexandros mit einem liebevollen Lächeln. »Er versteht alles, was du ihm sagst, aber er kann dir nur mit seinen Händen antworten. Omikron war noch keine sechs Jahre alt, als ihn Timarchos in unseren Reihen aufnahm. Seine Eltern kamen offensichtlich bei einem Erdbeben ums Leben und seinen Nachbarn ging es selbst zu schlecht, um den Jungen bei sich aufnehmen zu können. Daher fragten sie uns, als wir durch ihren Ort zogen, ob wir ihn nicht als Treiber oder als Laufjungen gebrauchen könnten. Timarchos fasste sich ein Herz und nahm ihn bei uns auf. Seine Sprache hat er seitdem nicht wiedergefunden, aber er ist einer der feinsten Burschen, die ich kenne.«
»Und wie ist er nun zu seinem Namen gekommen?«
»Als wir ihn damals mitnahmen, hatten wir vergessen, danach zu fragen. Und da er nicht spricht, konnte er ihn uns folglich auch nicht nennen. Also überlegten wir uns, wie wir ihn nennen sollten und erklärten ihm dabei, was er hier und dort erledigen konnte. Omikron fand das alles ganz spannend und sagte jedesmal, wenn er wieder in Staunen verfiel, den einzigen Laut, den er hinbekommt: Nämlich Oh.«
Hegesias und Philemon und die anderen Treiber schmunzelten, als Alexandros fortfuhr. »Und das war so lustig, wie der Junge immer wieder sein kindliches Oh sagte, dass wir ihn einfach ›Das kleine O‹ getauft haben. Nicht wahr, Omikron?«
Der Junge lachte unbeholfen und war Krates auf Anhieb sympathisch. Den Rest des Abends verbrachten sie mit Essen und der Wiederholung der Geometriekenntnisse, die er Alexandros vor den Stadttoren von Tarsos beigebracht hatte. Die anderen Treiber fanden an dieser Materie ebenfalls Gefallen und so hielt Krates von nun an jeden Abend sein Karawanenseminar.
Am nächsten Morgen wurden sie von den Schreien der Bergadler geweckt, die über ihren Köpfen kreisten und auf die Essensreste des Karawanenfrühstücks hofften. Der anschließende Ritt führte sie über den immer steiler werdenden Gebirgspfad auf den oberen Pass der Kilikischen Pforte.
Hinter dem Gipfel wurde der Pfad endlich wieder etwas breiter und führte in die dicht bewaldete Hochebene hinab. Holzfäller winkten ihnen zu, als sie sich am späten Nachmittag dem Gebirgsstädtchen Herakleia Kilikia näherten. Die Stadt war gut befestigt, aber viel zu klein, um eine Karawane wie die des Timarchos aufnehmen zu können. So kampierten sie wieder einmal vor den Toren und beendeten den Abend mit ihrem Karawanenseminar.
Am Tag darauf tat Krates alles weh. Wütend auf seine Abenteuerlust, die ihn auf diese Reise getrieben hatte, tastete er seinen Körper ab und fand annähernd keine Stelle, die nicht irgendwie schmerzte. Erschöpft saß er auf Plutos Rücken und dämmerte während des Ritts vor sich hin. Die Sonne brannte erbarmungslos und heizte die Pinienwälder, die sie auf ihrem Weg passierten, fürchterlich auf. Während der Mittagspause versuchte Alexandros ein Gespräch mit ihm anzubändeln, doch Krates war nicht nach Reden zumute und so hörte er einfach nur zu. Als sie gegen Nachmittag die letzten Wälder hinter sich ließen und das weite Tal der Lykaonischen Ebene erreichten, fühlte er bereits das Fieber in seinem Körper. Er schwitzte und roch unangenehm, musste sich mehrmals über Pluto beugen, um während seines Ritts zu erbrechen und hatte seine beiden Wasserschläuche bald erschöpft. Für die Übernachtung hielten sie in einer von Büschen und Pappeln bestandenen Senke mit einem kleinen Flüsschen.
Krates war zu erschöpft, um abzusteigen. Er fieberte und seine Schläfen pochten, ihm war schwach zumute und er krallte sich an Plutos Mähne fest, um nicht vom Pferd zu fallen. Philemon half ihm beim Absteigen und breitete seine Decke auf den Boden, damit sich Krates hinlegen könne. Dann kümmerte er sich um Pluto und die anderen Pferde, während Omikron seine Wasserschläuche auffüllte und Krates zu trinken gab.
Nach einer Weile gesellte sich der Treiber Leandros zu ihm und fragte Krates, ob er ihn behandeln solle. Krates erkundigte sich, ob er Arzt sei, was Leandros verneinte. Doch er sei mit den Naturheilverfahren vertraut und Omikron, der seine kleine Hand auf Krates’ Brust gelegt hatte, nickte ihm ernsthaft zu. Krates willigte müde ein und ließ seinen Treiber gewähren. Leandros kniete sich auf den Boden und begann mit beiden Händen über Krates’ Körper zu fahren, ohne ihn dabei zu berühren. Schließlich konzentrierte er sich und schien in der Luft über Krates’ Körper nach irgendetwas zu greifen und es hinter sich ins Feuer zu werfen. Krates musste lachen, als er das sah, denn er wusste nicht, was diese albern aussehenden Bewegungen zu bedeuten hatten. Auch Leandros lachte, fuhr aber ungerührt mit seinen Bewegungen fort. Nach einer Weile bemerkte Krates eine deutliche Besserung und schaute seinen Treiber fragend an.
»Wie funktioniert das?«
»Das erkläre ich dir, wenn du wieder gesund bist. Dazu werde ich dich jetzt noch einmal behandeln. Danach werden wir einen kleinen Spaziergang zum Fluss machen und dann solltest du dich schlafen legen.«
Leandros kniete abermals vor ihm nieder und wiederholte die merkwürdigen Bewegungen, mit denen seine Hände die Luft über Krates’ Körper zu greifen schienen. Als er damit geendet hatte, ließ er seine Finger über Krates’ Körper kreisen und reichte ihm anschließend eine Schale mit frischem Wasser. Krates fühlte sich zwar immer noch schwach, doch es schien, als wären das Fieber und seine Übelkeit von ihm gewichen. Anschließend wanderte er mit seinem Treiber zu dem kleinen, von Büschen und Pappeln bewachsenen Bachbett.
»Wie nennt sich diese Heilkunst?«
»Pneuma«, antwortete Leandros, »und sie ist vermutlich noch sehr viel älter als die ältesten Aufzeichnungen menschlichen Denkens. Du kannst dir das wie eine Spur vorstellen, die du hinterlässt, wenn du durch den Sand läufst. Du selbst bist längst weg, aber deine Spur ist noch da. Und je nachdem wie du gelaufen bist, ob in Angst oder mit Freude, wird die Spur auch aussehen. Geübte Spurenleser und ich glaube, dass sich unsere Seele darin bestens auskennt, können diese Spuren selbst Jahre später noch analysieren. Das heißt, so lange die Spur noch vorhanden ist, ist auch die Erinnerung an ihre Ursache vorhanden und damit die Kraft der Ursache. Die Kunst des Pneuma beschränkt sich ausschließlich auf die Beseitigung solcher Spuren, die übrigens nicht im Körper, sondern um ihn herum liegen.«
Sie setzten sich unter eine flussnahe Pappel und betrachteten nachdenklich den großen Handelszug, der sich auf das Abendessen und die bevorstehende Nacht vorbereitete. Krates war erstaunt über die differenzierten Gedanken seines Treibers und dessen gehobene Ausdrucksweise. Doch dann erinnerte er sich an das, was ihm Alexandros über den jungen Mann erzählt hatte. Leandros war demnach in Krates’ Alter und entstammte einer angesehenen Famile in Issos. Seine Mutter war früh gestorben und sein Vater mit den vier Kindern trotz der Hilfe seiner Haussklaven hoffnungslos überfordert. Mit zunehmendem Alter hatte sich Leandros mit seinem Vater überworfen und war von zu Hause weggelaufen. Als er unterwegs der Karawane des Timarchos begegnete, soll ihn dieser zu überreden versucht haben nach Issos zurückzukehren und sich mit seinem Vater wieder zu versöhnen. Doch Leandros weigerte sich und so nahm ihn Timarchos bei sich auf.
»Wenn ich es richtig verstanden habe«, unterbrach Krates ihr Schweigen, »hast du also vorhin die Spuren meines Fiebers und damit die Kraft des Krankheitsauslösers beseitigt?«
»Ganz recht. Natürlich habe ich dich damit noch nicht wieder gesund gemacht. Das kannst du nur selbst über die Vitalisierung deines Körpers. Aber wie soll ein Körper gesunden, wenn er permanent gegen die immer noch anwesenden Kräfte der Krankheitsursache kämpfen muss? Die Kunst des Pneuma besteht somit eigentlich nicht im Heilen, sondern nur in der Hilfestellung, damit sich der Körper selbst heilt.«
Krates schüttelte bewundernd den Kopf. Sollte er Pergamon jemals erreichen, musste er unbedingt seinem Freund Philopatros davon berichten. »Könnte ich mich damit auch selbst heilen?«
»Aber ja«, rief Leandros begeistert. »Natürlich braucht dein Körper Zeit, um wieder zu genesen, je nachdem, wie stark er durch die Krankheit geschwächt wurde, mal mehr und mal weniger. Aber glaub mir, die meisten Menschen, die über längere Zeiträume krank sind, sind es nur deshalb, weil ihnen für die klare Entscheidung nicht mehr krank sein zu wollen, die Kraft fehlt. Es ist letztlich nur eine Frage des Bewusstseins. Und dein Körper ist stärker als du glaubst.
»Und wie erklärst du dir den Heilerfolg des Pneuma?«
Leandros zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich bin ja kein Arzt oder Naturheiler. Wenn einer der unseren erkrankt, versuche ich ihn mit dem zu heilen, was ich über das Pneuma weiß. Aber wozu muss man eine Heilung erklären können, wenn man aus Erfahrung weiß, dass sie funktioniert?«
Krates dachte an die neuen Ärzte, die sich Hippokratiker nannten und in ihrer Heilkunst alles ablehnten, was sie nicht logisch erklären konnten, weil es gegebenenfalls nur auf Erfahrungen beruhte. Es war dies im Grunde genommen der gleiche Streit wie der zwischen der Akademie und der Stoa. Aber Leandros hatte schon Recht: Wenn eine Sache funktionierte, und im Falle des Pneumas hatte sich Krates soeben ein eigenes Bild machen können, gab es keinen Grund sie abzulehnen, nur weil man sie nicht erklären konnte.
»Ist denn das Pneuma schwer zu erlernen?«
»Was für eine Frage!« lachte Leandros. »Wenn du die Geometrie lernen konntest, wirst du auch das Pneuma begreifen. Wir sind ja wohl noch ein paar Tage unterwegs. Da werde ich dir die Grundbegriffe schon beibringen können.«
An ihrem vierten Reisetag durchmaßen sie die Lykaonische Ebene und gelangten schließlich nach Ikonion, wo sie auf die syrische Karawane des Simon trafen. Am späten Abend, als Krates mit Alexandros und der Hälfte seiner Treiber im Innenhof der Karawanserei saß und über eine einfache Zylinderberechnung diskutierte, gesellte sich Timarchos zu ihnen und brachte seinen syrischen Freund Simon mit. Sie stellten sich einander vor und Simon eröffnete ihnen, dass er Ikonion gleich morgen wieder verlassen werde. Wenn sie wollten, wäre es ihm eine Freude seinem alten Kollegen Timarchos den Gefallen zu erweisen und sie mit nach Pisidien zu nehmen.
Zum ersten Mal seit langer Zeit wurde Krates wieder von Hahnengeschrei geweckt und für einen kurzen Moment überfiel ihn die Sehnsucht nach Mallos und seiner Familie. Doch der Abschied von Timarchos und Alexandros holte ihn schnell in die Realität zurück.
Die Sonne hatte sich gerade über die Mauern der Karawanserei erhoben, als sich auch der lange Tross des Syrers in Gang setzte. Der Weg aus Ikonion war lange Zeit gepflastert und sie lauschten dem donnernden Klang der unzähligen Hufe, die auf das Isaurische Grenzgebirge zuliefen. Stunden über Stunden mühten sie sich die steilen Gebirgswege hinauf und mussten mehrfach absitzen, um ihre Pferde am Zügel zu führen.
Gegen Mittag ließ Simon auf dem Gipfelplateau des isaurischen Gebirgspasses rasten und die Karawanentreiber genossen den kühlen Wind, der ihnen dort oben um die Nasen wehte. Weit unter ihnen lagen die Dächer von Ikonion und auf der gegenüberliegenden Seite nichts als Berge.
Nach einer guten Stunde machten sie sich wieder an den Abstieg, der sich weitaus schwieriger gestaltete, weil der in die Hochebene hinabführende Weg steil und von spitzen Felsen übersät war. Krates half seinen Treibern, die vollends damit beschäftigt waren, die neunundzwanzig Pferde zu beruhigen und sie über den unwegsamen Pfad zu schieben. Erleichtert saßen sie auf, als sie sich endlich wieder in der Ebene befanden und den Abstieg ohne Schaden überstanden hatten.
Da sie gut marschiert waren, erreichten sie das Südufer des Karalis-Sees bereits in den frühen Abendstunden. Simon lobte seine syrischen Zugführer und reichte auch Krates und seinen sechs Treibern die Hand. Während sich Skythos und Philemon um die Pferde kümmerten, schwärmten Hegesias und Medion aus, um genügend Holz zu sammeln, mit dem sie das Feuer über Nacht in Gang halten konnten. Krates freute sich über die Selbständigkeit seiner Treiber und war ihnen um das Holzsuchen dankbar, denn seit ihrer Taurosüberquerung wusste er, dass die Nächte in den Hochebenen empfindlich kühl werden konnten. Leandros inspizierte ihre zur Neige gehenden Vorräte und deutete gerade an, dass sie wohl heute Abend von Trockenfrüchten leben müssten, als ihm Omikron freudig vier Hasen vor die Füße legte.
»Wo hast du die denn gefangen?« fragte Krates verblüfft.
»Vergiss es!« lachte Leandros und winkte ab. »Das werden wir nie verstehen. Unser Omikron und seine Hasen. Er schnappt sie sich an den entlegensten Orten, wobei ich bis heute nicht begriffen habe, wie er das eigentlich macht.«
Er klopfte dem Jungen anerkennend auf die Schulter und reichte ihm ein Messer, damit er seiner Beute das Fell abziehen konnte. Nach dem Abendessen, von dem Krates angenehm überrascht war, denn er hatte weder bei Mela noch in der Akademie jemals Hasen gegessen, scharte er seine Treiber um sich und lehrte sie die Berechnung der Entfernungsmessung.
Am nächsten Morgen hatte sich der Himmel ein wenig zugezogen, doch mit Regen war noch nicht zu rechnen. Simon führte seine Karawane vom Karalis-See durch breite und schmale Täler bis an die Ausläufer der pisidischen Grenzgebirges. Als sich der Weg deutlich verjüngte und in endlosen Serpentinen den dicht bewaldeten Hang hinaufführte, wurde es merklich kühler. Der Wald war hier wiederum gänzlich anders, als es Krates aus Lykaonien erinnerte. Zwar war er genau so dicht, doch die Pinien waren größer und standen sämtlich auf felsigem Untergrund, der größtenteils von herabgefallenen Nadeln bedeckt war. Die Stechmücken des Waldes machten ihnen arg zu schaffen und die Treiber mussten bald absitzen, um die Lastenpferde zu beruhigen, die immer wieder ausbrechen wollten. Gegen Nachmittag lichtete sich der Wald und sie durchquerten eine steinige und von Geröllhalden übersäte Gegend. Auf Grund des unwegsamen Geländes kamen sie hier nur langsam voran und waren sichtlich erleichtert, als sie am Abend endlich ein weites Tal erreichten, in dessen Mitte sich der Eurymedon schlängelte, der das pisidische Gebirge durchquerte und schließlich bei Aspendos an der pamphylischen Küste ins Meer floss. Simon warnte sie vor den Wölfen, die hier manchmal die Karawanen überfielen. Sie sollten daher möglichst dicht beieinander bleiben und zusehen, dass sie das Feuer in Gang hielten. Krates erkundigte sich bei seinen Treibern, ob sie selbst schon Erfahrungen mit Wölfen gemacht hätten.
»Nur ein einziges Mal«, sagte Leandros und erntete das grimmige Kopfnicken seiner Kameraden. »Das war vor ein paar Jahren, oben in Galatien. Meistens passiert nichts. Die Wölfe greifen ja nur an, wenn sie kein Wild erlegen konnten und dementsprechenden Hunger haben. Dabei ist ein Wolf allein auch eher ungefährlich. Es sind wilde Hunde, nichts weiter. Und mit einem kräftigen Stock kann man jeden Hund in die Flucht schlagen. Gefährlich werden die Tiere erst dadurch, dass sie im Rudel auftreten. Denn wenn sie sich erst einmal festgebissen haben, lassen sie nicht mehr los.«
»Und wie können wir uns am besten gegen sie wehren?« fragte Krates, dem nach dieser Beschreibung etwas unbehaglich zumute war.
»Wie Simon schon sagte: Zusammenbleiben und Krach machen. Wenn dir ein Wolf zu nahe kommt, haust du mit dem Knüttel zu. Und keine Angst, Krates: Je mehr der Wolf abbekommt, desto unwilliger wird er, noch einmal anzugreifen. Wir haben das schon einmal geschafft, und wenn du dich an das hälst, was wir dir sagen, brauchst du keine Angst zu haben.«
Medion und Hegesias gingen in den Wald und besorgten sieben kräftige Stöcke. Krates erinnerte sich an das Dilemma, das ihm Agathon von Magarsa erzählt hatte, und bat Skythos, ihm zu zeigen, was zu tun sei, falls es hart auf hart käme. Skythos nickte ihm anerkennend zu und zeigte ihm, wie er den Stock halten und ausholen musste, um möglichst treffsicher zuzuschlagen.
Am Abend zündeten sie ein großes Feuer an, das mindestens ebenso groß war wie die unzähligen Feuer der Syrer. Nach einem dürftigen Abendessen, das auf Grund ihrer knappen Vorräte lediglich aus Dörrfleisch, Wasser und Trockenobst bestand, setzten sie ihren Geometriekurs fort, wobei ihnen Krates diesmal die Berechnung des Erdumfanges erklärte, die Eratosthenes damals zwischen Alexandria und Syene bewerkstelligt hatte. Es wurde ein langer Abend, und als Philemon schließlich seine Trommeln herausholte und Hegesias und Leandros zu seinen exstatischen Rhythmen tanzten, begann sich Krates im Kreise seiner Treiber durch und durch wohl zu fühlen.
Er hatte kaum drei oder vier Stunden geschlafen, als ihn Skythos an der Schulter berührte und leise wachrüttelte. Krates blinzelte ihn verschlafen an, horchte aber sogleich auf, als er das wilde Heulen vernahm. Eine Gänsehaut lief ihm über den Rücken, als er sich langsam aufsetzte und Philemon sah, der wortlos in die hinter ihnen liegenden Berge deutete. Die Syrer hatten ihnen empfohlen, im Falle einer Begegnung mit den Wölfen vier Feuer um ihre Pferde anzuzünden, die die Tiere zwar scheuen lassen, die Wölfe aber auch bis auf weiteres von ihnen ablenken würden. Leandros und Skythos hatten am Abend genügend Holz gesammelt und an vier Stellen um ihre Pferde aufgestapelt, um die Feuer notfalls schnell entzünden zu können und machten sich nun daran, die vorbereiteten Scheiterhaufen in Brand zu setzen. Bald darauf zog sich dichter Qualm durch die Nacht und die vom Feuer eingekreisten Pferde wieherten in Panik.
Die ersten Wölfe kamen von der Nordseite des Tales, wurden von den Syrern auseinandergeknüppelt und zogen sich bald wieder zurück. Der zweite Ansturm erfolgte aus dem Wald in ihrem Rücken und diesmal waren es wesentlich mehr. Der Mondschein warf die Szenerie in ein gespenstisches Licht und Krates schätzte, dass es ein paar hundert Wölfe sein mussten. Ein gutes Dutzend wagte sich bis zu ihm und seinen Treibern vor und sie mussten von ihren Stöcken tatkräftigen Gebrauch machen. Krates brüllte vor Angst und schlug dabei drei oder vier mal so kräftig zu, dass er hören konnte, wie den getroffenen Wölfen irgendwelche Knochen brachen. Nach einer guten Stunde zogen sich die Wölfe in die Wälder zurück, aus denen sie gekommen waren. Das Geheul verebbte und war schließlich ganz verschwunden. Sie löschten die Feuer, die sie um ihre Pferde entfacht hatten und legten sich wieder hin, nicht ohne vorher ein paar Wachen aufgestellt zu haben, die sie im Falle eines erneuten Angriffs rechtzeitig warnen konnten. Doch die Wölfe kamen nicht wieder.
Krates konnte bis zum Morgengrauen nicht mehr einschlafen und fühlte sich daher beim Aufstehen wie gerädert. Der Schreck saß ihm noch immer in den Gliedern und schon das leichte Knacken eines Astes ließ ihn zusammenfahren, weil es ihn an das grässliche Geräusch erinnerte, als er den Wölfen mit seinen Schlägen die Knochen gebrochen hatte. Nach einem faden Frühstück, bei dem keiner von ihnen ein unnötiges Wort verlor, mussten sie den vor ihnen liegenden Eurymedon durchqueren. Doch der Fluss war seicht und das Wasser nicht tief, so dass sie die erste Aufgabe ihres Tagesritts schnell hinter sich gebracht hatten. Vom gegenüberliegenden Ufer schlängelte sich der Pfad wieder in die Berge und die Mückenplage hielt Pferde und Reiter abermals in Atem. Die Zugführer und Treiber waren durch ihren nächtlichen Kampf geschwächt und so dauerte ihr Ritt durch die pisidischen Wälder länger als geplant. Als sie am späten Nachmittag den Quellauf des Kestros erreichten, hatte keiner von ihnen mehr Lust, den Fluss zu überqueren. Aber Simon bestand darauf, bis zu der kleinen Gebirgsstadt Kremna weiterzureiten, weil sie schließlich auch an ihre Vorräte denken mussten.
Der Kestros sah eigentlich ganz harmlos aus, doch er war tief und reißend. Philemon erklärte Krates, wie er mit Pluto sicher auf die andere Seite käme und riet ihm, in einer Diagonale gegen die reißende Strömung zu reiten. Am anderen Ufer angelangt solle er sich so schnell wie möglich von der Furt entfernen, um die nachfolgenden Tiere nicht zu verunsichern. Die Überquerung dauerte Stunden, außerdem kam es immer wieder vor, dass einzelne Pferde oder Esel ausbrachen und von ihren Treibern am Zügel festgehalten werden mussten, um nicht von der Strömung fortgerissen zu werden. Krates’ Pferde befanden sich schon zu Zweidritteln am gegenüberliegenden Ufer, als sich plötzlich eines der hinteren Tiere aufbäumte, in Panik ausbrach und dabei die Furt von der falschen Seite betrat. Sofort wurde das Pferd von der Strömung erfasst. Philemon sprang hinterher und versuchte es am Zügel zu fassen, wurde aber ebenfalls fortgerissen. Verzweifelt klammerte er sich an einen Felsen, als der schwere Unterleib des Tieres gegen ihn trieb. Er schrie wie am Spieß, doch das Pferd glitt an ihm vorbei. Mit einiger Mühe konnte er sich ans gegenüberliegende Ufer retten und blieb dort regungslos liegen, bis ihn Hegesias und Leandros eingeholt hatten.
Das Pferd und seine Ladung waren verloren, doch Philemon lebte und das war die Hauptsache. Leider hatte ihm der massige Körper des treibenden Tieres das linke Bein gebrochen. Er konnte nicht mehr gehen und musste von seinen Freunden zur Karawane getragen werden. Einer der Syrer schiente ihm das Bein mit Hilfe eines Holzstocks, damit er wenigstens, wenn auch unter großen Schmerzen, bis nach Kremna reiten konnte.
Als sie die Stadt in der Abenddämmerung erreichten und vor dem unteren Stadttor ihr Lager aufschlugen, fielen die meisten vor Erschöpfung direkt auf ihre Decken. Krates selbst war hundemüde, aber er sorgte sich um Philemon. Leandros versuchte ihm mit Hilfe seiner Pneumabehandlung die Schmerzen zu nehmen und Omikron wich nicht von seiner Seite.
»Du darfst nicht sterben«, flehte er leise und begann bitterlich zu weinen. »Bitte, Philemon, du darfst nicht sterben.«
Krates und seine Treiber schreckten aus ihrer Müdigkeit hoch und blickten den kleinen Omikron fassungslos an. Selbst Philemon hob den Kopf und ihm traten Tränen in die Augen, als er seinen Kameraden mit einem leichten Kopfschütteln andeutete sich nicht einzumischen und zu bleiben, wo sie waren.
»Warum glaubst du denn, dass ich sterbe?« fragte er den Jungen mit bebender Stimme.
»Du darfst nicht sterben«, wiederholte Omikron nur und legte seine Kinderhand auf Philemons Brust, »bitte bleib bei uns.«
»Soll ich es dir versprechen?« fragte er lächelnd.
Omikron nickte verzweifelt.
»Das mache ich aber nur, wenn du mir erzählst, wie ihr mich aus dem Fluss gefischt habt.«
»In Ordnung. Aber vorher musst du es mir versprechen.«
Philemon nahm alle seine Kräfte zusammen, fasste Omikron mit den Händen am Kopf und drückte ihm einen liebevollen Kuss auf die Stirn. »Ich verspreche es dir.«
Nachdem ihm Omikron ganz unbefangen und wie selbstverständlich von der Bergungsaktion erzählt hatte, waren alle zu Tränen gerührt. Erst verstand der Junge nicht, warum sie auf einmal so still waren. Doch dann hielt er sich die Hand vor den Mund und schaute erschrocken in die Runde.
»Zum Henker mit der Müdigkeit«, jubelte Hegesias, »unser Omikron kann sprechen.«
»Ich sterbe nicht«, wiederholte Philemon lachend und vergaß dabei all seinen Schmerz, »für dich bleibe ich ewig lang am Leben. Jetzt musst du mir aber auch etwas versprechen, Omikron.«
»Und das wäre?« fragte der Junge, der die Wörter, die er nun aussprach, alle schon gedacht haben musste, als er noch nicht sprechen konnte.
»Dass du morgen früh immer noch sprechen kannst.«
»Ich will’s versuchen«, strahlte er glücklich. »Aber selbst, wenn nicht; wir wissen ja jetzt, wie es funktioniert. Notfalls müssen wir dir das andere Bein eben auch noch brechen.«
Als sie am folgenden Morgen weiterziehen wollten, hatte Philemon hohes Fieber. Ihnen allen war klar, dass er den Ritt nach Sagalassos nicht überstehen würde und daher in Kremna zurückbleiben musste. Sie ließen ihm sein Pferd und seine Sachen und Krates schenkte ihm zweihundertfünfzig Drachmen. Philemon bedankte sich und wünschte ihnen eine gute Reise.
»Macht euch um mich keine Sorgen. Wenn mein Bein wieder zusammengewachsen ist, schlage ich mich bis nach Ankyra durch. Und eines nicht allzufernen Tages sehen wir uns dann bei Timarchos wieder.«
Omikron wäre am liebsten bei ihm geblieben, aber er wusste um seine Aufgabe und dass Timarchos es ihm nie verziehen hätte, wenn er Krates im Stich ließ. Sie umarmten einander und folgten der aufbrechenden Karawane. Dunkle Wolken jagten über den Himmel und aus den Bergen wehte ein kalter Wind. Von Kremna führte die Straße ins Hochgebirge und den dichten Pinienwäldern folgte bald ein hoher Tannenwald. Da sie keinen Fluss mehr zu überqueren hatten und die Straße breit genug war, kamen sie gut voran und erreichten schon am Nachmittag ihres zehnten Reisetages die wuchtigen Stadtmauern von Sagalassos.
Die Stadt lag dermaßen hoch, dass man von ihr auf die gesamte, sie umgebende Bergwelt blickte. Die dunklen Tannenwälder, die sie kurz hinter Kremna passiert hatten, waren längst den urwüchsigen Krüppel- und Gebirgseichen gewichen und überhaupt schien hier oben die Vegetation so karg, dass man sich fragen musste, woher die Sagalasser ihr Getreide bezogen. Die hohen Stadtmauern in ihrem anthrazitfarbenen Granit hatten eine bedrohliche Wirkung, die von dem zugezogenen Himmel mit seinen dunklen Regenwolken nicht gerade geschmälert wurde. Krates schluckte bei der Vorstellung, dass selbst die Übermacht des Makedonenkönigs Alexandros diese Festung nicht hatte einnehmen können.
Sie passierten das Haupttor und gelangten in eine Stadt, die weitaus größer war, als es von außen den Anschein gehabt hatte. Die Karawane folgte der gepflasterten Hauptstraße in den Nordteil von Sagalassos, wo sich neben dem großen Theater auch die Karawanserei befand. Die Unterkunft für die Handelszüge war fast genauso groß wie die Karawanserei von Ikonion und Krates staunte abermals über die gut durchdachte Struktur des Gebäudekomplexes. Der zentrale Hof, in dem sich die Karawanen bei ihrer Ankunft und ihrem Aufbruch sammelten, war ringsum von hohen Mauern umgeben, so dass man ihn nicht betreten oder verlassen konnte, ohne am Haupttor vorbeizukommen. Rings um den Hof spannten sich große Hallen, hinter denen sich ausgedehnte Stallungen und Kammern befanden. Da bereits die ersten Regentropfen fielen, brachten sie die Pferde mit ihren Lasten in die Ställe und banden sie fest aneinander. Dann machte sich Krates auf die Suche nach Simon, um ihn zu fragen, wie er nun von Sagalassos weiter in Richtung Pergamon käme. Simon erkundigte sich bei einem der Pförtner und kehrte mit der Nachricht zurück, dass in drei oder vier Tagen sein Kollege Eudemos eintreffen müsste, der ihn und die Seinen mit nach Hierapolis nehmen könne. Er bat Krates um fünfzig Drachmen und bestach den Pförtner, damit er auf Krates und seinen Handelszug ein wachsames Auge habe. Dann nahm er ihn mit in die Stadt und stellte ihn einem der Ratsherren von Sagalassos vor.
»Dies ist mein Freund Krates«, sagte Simon und klopfte ihm dabei kräftig auf die Schulter. »Er hat uns von Ikonion hierher begleitet und möchte in ein paar Tagen weiter nach Hierapolis. Wie du weißt, muss ich morgen schon wieder fort, aber ich würde meinen Freund gerne in Sicherheit wissen. Was meinst du, Paras, könnt ihr Sagalasser mir für sein Wohlergehen bürgen?«
»Das können wir«, erwiderte Paras und schüttelte Krates lachend die Hand. »Du wohnst in der Karawanserei, nehme ich an?«
Krates bejahte.
»Gut, dann werde ich euch noch heute Abend zwei Männer von der Stadtwache vorbeischicken.«
»Ist das wirklich notwendig?« fragte Krates erschrocken.
»Wenn mich Simon um deine Sicherheit bittet, ist es das wohl.«