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Kapitel 19

Krates starrte verächtlich aus dem Fenster hinter seinem Schreibtisch. Die Landschaft hinter den Dächern von Pergamon flimmerte in der Morgenhitze und der frühsommerliche Wind wirbelte den Staub aus der Ebene bis in die Stadt, ja sogar bis hinauf in die Philetaireia. Kopfschüttelnd las er noch einmal den letzten Absatz des neuen Kommentars, der erst gestern mit der königlichen Ratspost aus Alexandria gekommen war.
»Der geographische Ansatz schließlich, den Krates in den homerischen Epen wiederzufinden meint, grenzt an den Gipfel der Lächerlichkeit. Wie sollte denn wohl ein Blinder, selbst wenn er der größte Dichter aller Zeiten war, die Welt erkunden? Ein schlecht begründeter Ansatz mit noch schlechteren Argumenten. Doch was will man von einem Pergamener anderes erwarten?«
Wütend schleuderte er den Papyrus gegen die Wand. Er war nach wie vor der Auffassung, dass seine Argumentationskette in sich schlüssig war und es störte ihn auch gar nicht, wenn die Herren aus Ägypten in einigen Punkten anderer Meinung waren. Doch angesichts der Schärfe, mit der ihn Aristarchos in jedem seiner schriftlichen Kommentare attackierte, wurde Krates den Eindruck nicht los, dass es ihm gar nicht so sehr um die Beurteilung seiner Thesen ging als vielmehr um den Ausdruck seiner persönlichen Abscheu gegen das Schaffen der pergamenischen Gelehrten. Die Rezensionen und Kommentare waren für die Bibliotheksverwaltung und den Einkauf neuer Schriften unerlässlich. Dementsprechend gab der König für den monatlichen Bezug dieser Abhandlungen eine Menge Geld aus. Doch die bissigen Pamphlete des Aristarchos brachten Krates immer wieder in Verlegenheit. Erst kürzlich war eine dieser Hetzreden aus Versehen in der königlichen Korrespondenz liegen geblieben und hatte zu einer Audienz geführt, bei der ihm Eumenes unmissverständlich zu verstehen gegeben hatte, dass er nicht gewillt sei Krates’ persönlichen Krieg gegen die Alexandriner zu finanzieren.
Krates war jetzt erst ein Jahr in Pergamon, doch in der Zwischenzeit hatte sich so viel ereignet, dass es ihm vorkam, als wären es schon zehn Jahre. Er dachte an Stratonike und musste lachen. Beim Eros, was hatte er sich abgemüht, um ihr zu gefallen. Er hatte ihr Komplimente und Geschenke gemacht, sie zum Essen eingeladen und immer wieder versucht, ihr zu imponieren, doch Stratonike blieb so unnahbar wie der Morgenstern. Hippias dagegen schien bei ihr weitaus mehr Erfolg zu haben, auch wenn er es nie darauf angelegt hatte. Krates erinnerte sich noch gut an das Gespräch, in dem er seinen Freund eines Abends zur Rede gestellt und ihm dieser von seinen Gefühlen für Stratonike erzählt hatte. Hippias argumentierte damals sehr sachlich und betonte immer wieder, dass er Krates nicht verletzen wolle. Aber das war ja schon längst geschehen. Es fiel ihm nicht leicht die schöne Nachbarstochter einfach aufzugeben, zumal seinem Freund das Glück der jungen Liebe so sehr ins Gesicht geschrieben stand, dass sich neben Krates’ Scham des Abgewiesenen auch eine tiefe Eifersucht gesellte. Doch die Zeit heilt alle Wunden und so konnte er sich schließlich sogar über die Einladung zu Hippias’ Hochzeit freuen.
Die Vermählung seines Freundes mit Stratonike war ein Riesenspektakel, das von Plautos und seiner Familie mit großem Pomp betrieben wurde. Sogar Eumenes war damals erschienen und hatte dem jungen Paar seinen königlichen Segen gegeben. Da Hippias mit seiner jungen Frau in die Unterstadt gezogen war, verbrachte Krates den Winter allein in seinem Haus. Es war eine schlimme Erfahrung gewesen, denn der Winter war kalt und Krates fühlte sich zuweilen ziemlich einsam. Außerdem steckten seine Kochkünste, die er nun, seitdem ihm Stratonike nicht mehr den Haushalt führte, unweigerlich selbst erproben musste, noch tief in den Kinderschuhen.
Er legte den Kommentar des Aristarchos zu den anderen Unterlagen und trat auf die Galerie vor seinem Zimmer. Der Blick in die weite Ebene machte ihn nachdenklich. Von hier oben betrachtet, sah die Welt ganz vertrauenerweckend aus. Die Bauarbeiten in der Stadt waren gut vorangekommen und das große Gymnasion in der Philetaireia erst vor zwei Monaten eingeweiht worden. Am Fuße des Burgbergs war ein komplett neuer Stadtteil entstanden und mit den neuen Kasernen am Eumenischen Tor machte die Unterstadt endlich jenen gut befestigten und streng bewachten Eindruck, bei dem man sich durch und durch sicher fühlen konnte. Auch die Katalogisierung der Bibliothek machte
gute Fortschritte und der harte Einsatz der letzten elf Monate zeigte allmählich Erfolg. Eumenes hatte ihm sechs fähige Männer unterstellt, die ihm und seinen Schreibern zur Hand gingen, und so hatten sie mit den mittlerweile erfassten Schriften schon mehr als ein Drittel ihres Gesamtvorhabens realisiert.
Soweit also schien die Welt in Ordnung. Doch es gab auch verschiedene Anzeichen auf unterschwellig drohende Gefahren. Der König zum Beispiel, dessen Gesundheitszustand zu den meist gehüteten Geheimnissen des Hofes gehörte, machte ihm zunehmend Sorgen. Denn von der Vitalität, die er an dem rüstigen alten Mann noch vor einem Jahr so sehr bewundert hatte, war fast nichts geblieben. Die königliche Familie war sicherlich stark genug, um den etwaigen Verlust ihres Oberhauptes durch einen neuen Thronfolger zu ersetzen, doch Krates schätzte seinen Gönner und machte sich eben seine Gedanken. In Zeiten wirtschaftlichen Wohlstands und anhaltenden Friedens war die körperliche Unversehrtheit des Königs vielleicht auch gar nicht so wichtig. Doch wenn er die Andeutungen der königlichen Boten richtig verstanden hatte, war das Reichsterritorium momentan alles andere als gesichert. Denn so friedlich die Pergamenische Ebene jeden Abend auch in der Dämmerung schlummern mochte, die anderen Reichsgebiete, vor allem die Ländereien an der nördlichen Grenze hatten zunehmend unter den Überfällen der Galater und den Sticheleien des Königs Prusias von Bithynien zu leiden. Immer wieder hörte man von erneuten Plünderungen und Verwüstungen und der Angst der mysischen Bewohner, ihr Hab und Gut oder gar ihr eigenes Leben zu verlieren. Krates war zu sehr mit sich und seinen Aufgaben beschäftigt, um diesen Befürchtungen mehr Beachtung zu schenken. Aber gänzlich entziehen konnte er sich ihnen auch nicht, stellten sie doch eine ernst zu nehmende Bedrohung seiner Welt dar.
Ein lautes Klopfen riss ihn aus seinen Gedanken.
»Die Tür ist offen!« rief er hinunter und sah, wie ein Beamter des Hofes eintrat und sich neugierig umschaute. Krates bat ihn, kurz zu warten und eilte die Treppe hinunter.
»Ich komme im Auftrag des Königs, der dich bittet, heute Abend nach Sonnenuntergang im Palast zu erscheinen.«
Krates dachte an den Kommentar des Aristarchos und bekam weiche Knie. Dass Eumenes’ Warnung eine behördliche Kontrolle der Bibliothekspost nach sich ziehen würde, war ihm klar gewesen, doch mit der Möglichkeit so schnell schon Ärger zu bekommen, hatte er nicht gerechnet. Der Bote verabschiedete sich mit einem kräftigen Handschlag und verließ das Haus.
Krates stand allein im Hof seines Hauses und ballte wütend die Fäuste. Dieser dämliche Streit mit den Alexandrinern ging ihm zunehmend auf die Nerven, zumal er diplomatisch gesehen eine permanente Gratwanderung war. Eigentlich war es nichts weiter als ein kultureller Machtkampf zwischen Eumenes und seinem ägyptischen Kontrahenten Ptolemaios, doch ausgefochten werden musste er von Männern wie Krates und Aristarchos. Agathon hatte ihm einst erklärt, dass der methodische Streit zwischen der Akademie und der Stoa auch eine politische Variante besäße, etwa in der Form, dass die Stoa an das altbewährte und traditionsreiche Kulturgut anknüpfte, während sich die Akademiker eher dem Glauben an den Fortschritt verschrieben hätten. So gesehen war Aristarchos nur das verlängerte Sprachrohr eines instrumentalisierten Streits um die kulturelle Vormachtstellung zwischen dem akademischtechnisch versierten Königreich der ägyptischen Ptolemäer und dem eher stoischen und traditionsorientierten Pergamon. Konkurrenz belebt das Geschäft, dachte sich Krates, das musste selbst Eumenes zugeben und so sah er dem Abend mit neuer Zuversicht entgegen. Das ungute Gefühl, wegen der gleichen Angelegenheit zum zweiten Mal vor dem König zu erscheinen, blieb ihm trotzdem und so verbrachte er einen unruhigen Nachmittag in seinem Haus, versorgte Pluto mit frischem Heu und machte sich permanent Gedanken, wie er Eumenes nur davon überzeugen konnte, die Ablehnung der Alexandriner, die ja wohl in Zukunft eher noch zu als abnehmen würde, als Gewinn zu betrachten.
Gegen Abend machte er sich auf den Weg zur Akropolis. Einem inneren Impuls folgend, machte er einen kleinen Umweg über die Altarbaustelle und begegnete dabei seinem Schüler Artemon, der an einer Mauer lehnte und sich angeregt mit dem alten Bildhauermeister unterhielt.
»N’ Abend, Krates«, begrüßte ihn Agamemnon müde.
»Guten Abend, Meister. Na, was macht die Kunst?«
»Im Moment lernt sie dazu«, lächelte Agamemnon, stemmte die Hände in die Hüften und reckte sich ächzend.
»Wie das?«
»Er übertreibt maßlos«, verteidigte sich Artemon. »Ich hatte ihn nur gefragt, warum er sich eigentlich bei der Darstellung der Götter so viel Mühe mit den jeweiligen Attributen gibt, wo sie doch von den meisten ausländischen Betrachtern sowieso nicht erkannt werden.«
Krates hob verwundert die Augenbrauen und wandte sich Agamemnon zu.
»Artemon meinte, wir sollten die Reliefs beschriften …«
Krates musste unvermittelt lachen, doch Agamemnon hob abwehrend die Hand.
»Ich weiß, das hört sich im ersten Moment ziemlich albern an, aber ich finde die Idee gar nicht so schlecht. Schließlich ist die Hauptaussage des Altarfrieses erst dann verständlich, wenn man weiß, welcher Gott an welcher Seite kämpft. Aber wir müssen sehen, ob und wie wir diese Idee in die Tat umsetzen können.«
Krates nickte den beiden schmunzelnd zu und wandte sich zum Gehen. Am oberen Burgtor begrüßte ihn Ariston, der offensichtlich schon auf ihn gewartet hatte.
»Bist du bereit?« fragte er mit ernster Miene.
»Ich denke schon«, antwortete Krates und holte tief Luft.
»Weißt du denn, was dich erwartet?«
»Ich kann es mir vorstellen. Ich hoffe nur, dass es nicht allzu lange dauert,
schließlich habe ich auch noch andere Sorgen.«
Ariston schaute ihn verständnislos an. »Also, hör mal!« entrüstete er sich und wollte noch etwas hinzufügen, doch da waren sie bereits am Tor des Palastes angekommen und der Diener hieß sie von der Tür aus willkommen. Sie schritten durch die im Abendlicht schimmernde Eingangshalle in den geräumigen Hauptraum und begrüßten den König mit einer ehrfürchtigen Verbeugung.
»Krates«, rief Eumenes und reichte ihm die Hand, »wie schön, dass du da bist. Komm in unsere Mitte und lass mich dir meine engsten Vertrauten vorstellen. Der sympathische Krieger hier vorne ist mein Bruder Attalos, der im Feld genauso erfolgreich ist wie auf dem Thron.«
Krates verbeugte sich vor dem Königsbruder und spürte die prüfenden Blicke, mit denen ihn die Anwesenden bedachten. Nach und nach machte er sich mit den übrigen Gästen bekannt. Mit Eumenes’ zweitem Bruder Athenaios, der sich um die Leitung der zahlreichen Bauvorhaben in und um Pergamon kümmerte, und mit Zenon, der mit der Eintreibung der Steuern aus den weitverzweigten Reichsgebieten beauftragt war. Mit dem alten Lykon, der schon unter Eumenes’ Vater gedient hatte und den diplomatischen Verkehr regelte sowie mit Nikias, der die Verbindung zu den städtischen Behörden und Ämtern hielt. Schließlich auch mit Theodoros, der die Flotte vor Elaia befehligte und Eumenes in strategischen Fragen beriet. Aus der Ecke nickten ihm sein Vorgesetzter Brasides und Philopatros’ Vater Stratios zu und Ariston musste er nun wirklich nicht mehr vorgestellt werden.
Verwirrt von der hochkarätigen Abendgesellschaft, deren Anwesenheit sich Krates nur als Tribunal für den Verweis erklären konnte, den ihm sein König nun erteilen würde, folgte er Eumenes’ Anweisung auf der elften und letzten Tischliege Platz zu nehmen. Vier Diener betraten den Raum, verteilten Trinkschalen und schenkten den Männern Wein ein.
»Der Grund«, hob Eumenes feierlich an, »warum ich dich bitten ließ, uns heute Abend Gesellschaft zu leisten, ist der unerwartete Tod unseres treuen Gesandten Protagoras. Da es die momentane Situation nicht erlaubt, diesen Posten länger unbesetzt zu lassen, haben wir beschlossen, dich in den Kreis der Freunde aufzunehmen und zum königlichen Gesandten zu ernennen. Bist du bereit, diese Ehre anzunehmen?«
Krates verschlug es die Sprache und er rang nach Luft. Er warf Ariston einen verzweifelten Blick zu, erhielt jedoch nur ein aufmunterndes Lächeln.
»Beim Zeus«, stammelte Krates, »ich fühle mich tief geehrt. Aber ich weiß wirklich nicht, ob ich dieser Aufgabe gewachsen bin. Außerdem habe ich ja noch meine Arbeit in der Bibliothek.«
»… die dir auch niemand abnehmen kann«, setzte Eumenes seinen Gedanken fort. »Die Aufgabe, mit der wir dich betrauen möchten, umfasst zunächst einmal nur die Präsenz bei den Einweihungen unserer zahlreichen Stiftungen im In und Ausland. Das heißt, du wirst hin und wieder verreisen müssen, aber das sollte dir nicht allzu schwer fallen,
denn ohne diese Fähigkeit wärest du heute gar nicht hier.«
»Außerdem«, mischte sich Ariston ein, »hatten wir bei diesem Posten auch deshalb an dich gedacht, weil dir die Reisen die Möglichkeit geben werden, mit den Gelehrten anderer Städte in Kontakt zu kommen und deine für die Bibliothek relevanten Verbindungen auszubauen.«
»Beim Apollon«, freute sich Krates, »das ist überhaupt wahr. Aber ich muss nochmals betonen, dass ich einen derartigen Posten nie zuvor ausgeübt und dementsprechend keine Ahnung habe, worauf es dabei ankommt.«
»Oh, das kann man lernen«, winkte Attalos ab. »Und nach allem, was mir mein Bruder über deine bisherigen Erfolge in der Bibliothek berichtet hat, wirst du es auch lernen.«
Krates strahlte in die Runde. »Dann will ich dieses Amt gerne annehmen und mich in allem üben, was ihm zur Ehre gereicht.«
»Ausgezeichnet!« schloss Eumenes und hob seine Trinkschale. »Dann lasst uns trinken, Freunde, und Krates in unserem Kreis willkommen heißen.«
Die zehn Männer setzten sich auf und hielten ihre Trinkschalen feierlich in die Höhe. Krates’ Hände zitterten, als auch er seine Trinkschale anhob und verlegen dem Hymnos lauschte, den der königliche Stab zu seiner Amtsernennung sang.
Es folgte ein erlesenes Abendessen, bei dem er sich mit jedem der Königsfreunde eingehend unterhielt. Der Abend wurde lang und das Gelächter der Männer mit dem nicht enden wollenden Nachschub an Wein auch immer lauter und ausgelassener. Am Ende fühlte sich Krates im Kreise seiner zukünftigen Amtskollegen nicht nur angenommen, sondern auch respektiert. Über die alexandrinischen Kommentare dagegen, vor denen er sich anfangs noch so gefürchtet hatte, war während des ganzen Abends kein Wort gefallen. Als er spät in der Nacht mit Ariston durch die Straßen wankte, konnte es Krates noch immer nicht fassen.
»Wenn du …«, lallte er, »wenn du mir vor einem Jahr erzählt hättest, dass ich einst zu den Freunden des Königs zählen würde, ich hätte dich für verrückt erklärt.«
»Stimmt«, gab ihm Ariston recht und lehnte sich betrunken gegen eine Hauswand, um seine Blase zu leeren. »Aber es ist eine große Ehre.«
»Eine sehr große«, bestätigte Krates.
»Eine ungeheuerliche«, lachte Ariston. »Unser kleiner Philosoph aus Kilikien wird zum Gesandten, haha! Das wird dir viel Neid einbringen, mein Junge. Mach dich auf einiges gefasst.«
Krates blickte seinen Gefährten zweifelnd an. »Meinst du wirklich?«
»Ja, was denkst du denn?« fuhr ihn Ariston an und hielt erneut, um noch einmal umständlich gegen eine Hauswand zu urinieren. »In dieser Stadt leben annähernd fünfzigtausend Menschen, aber nur zehn dürfen beim König ein und ausgehen und ihm ihre Meinung unverblümt ins Gesicht sagen. Weißt du überhaupt, was für eine Macht du da hast?«
Krates nickte geistesabwesend vor sich hin, bis ihm auffiel, dass sich Ariston an seiner eigenen Hauswand erleichterte. Ungehalten holte er seine Schlüssel aus dem Mantel und schloss die Haustür auf.
»Oh«, stammelte Ariston verlegen, »das … tut mir leid.«
»Macht nichts. Komm gut nach Hause.«
Am nächsten Morgen erwachte Krates mit fürchterlichen Kopfschmerzen. Verschlafen hastete er die Treppe herunter, um sich zu waschen und schnell einen Happen Brot zu essen, bevor er sich anzog und zur Akropolis eilte. In der Bibliothek angekommen, sah er zu seiner Beruhigung, dass die Arbeiten bereits im vollen Gange waren. Leukippos und Demetrios standen in der Vorhalle des Athenaheiligtums und waren mit dem Wachsen der Papyrusrollen beschäftigt, während Leonidas und Artemon die sechs Arbeiter anwiesen und für den Nachschub an Holztäfelchen und Wollfäden sorgten.
»Guten Morgen, Krates«, begrüßte ihn Leonidas.
»Morgen«, brummte Krates und entschuldigte sich für sein Zuspätkommen. Dann setzte er sich auf einen der Stühle im Hauptraum und massierte sich die schmerzenden Schläfen. Nach einer Weile kam Artemon mit einer Handvoll Schriften und setzte sich zu Krates an den Tisch.
»Ich habe mir in den letzten Wochen einige Gedanken gemacht«, begann er, »und würde gerne einmal deine Meinung dazu hören. Ich meine, man könnte unsere Bemühungen im Falle der pergamenischen Bibliothek vielleicht als Schadensbegrenzung oder zumindest dringend bedürftige Reparatur bezeichnen. Aber deine Idee der Katalogisierung ist doch eigentlich viel mehr als nur ein Versuch, das entstandene Chaos zu lichten.«
»Ich freue mich, wenn du das genau so siehst, denn man könnte das Prinzip natürlich auch auf jede neu zu gründende Bibliothek anwenden. Aber worauf willst du hinaus?«
»Nun«, erwiderte Artemon, »ich dachte, dass wir unsere Arbeiten ein bisschen protokollieren sollten und aus diesen Aufzeichnungen dann eine kleine Zusammenfassung über das Sammeln von Büchern schreiben. Auf diese Weise wären unsere Erfahrungen auch anderen zugänglich.«
»Eine sehr gute Idee«, lobte ihn Krates. »Wärest du denn bereit, diese Aufgabe zu übernehmen?«
Artemon strahlte. »Ich hatte gehofft, dass du mir diesen Vorschlag machst.
Denn auch, wenn es letztlich ja deine Idee ist, wäre es für mich eine Möglichkeit, eine Schrift zu verfassen, die wir in unsere Bibliothek stellen könnten.«
»Dann mach das!« ermunterte ihn Krates, der den jugendlichen Veröffentlichungsdrang seines Schülers nur zu gut nachvollziehen konnte. »Schreib deine Abhandlung. Aber wenn du sie fertig hast, möchte ich sie noch einmal Korrektur lesen.«
»Einverstanden«, freute sich Artemon und sprang auf, um sich wieder seinen Aufgaben zu widmen.


Die Wochen verstrichen und Krates hatte alle Hände voll zu tun, um sich neben seiner Bibliotheksarbeit auch noch von den königlichen Beamten in die Kunst der Diplomatie einführen zu lassen.
Während ihm Nikias einen groben Überblick über die verschiedenen Ämter und Verantwortungsträger der städtischen Behörden lieferte, bildete ihn Ariston in der Kunst des Verhandelns aus. Krates gewann schnell den Eindruck, dass der leutselige und gebildete Ariston auch noch eine andere, ihm bislang unbekannte Seite haben musste, nämlich die eines eisernen Verhandlungspartners, der die Dinge so drehen und wenden konnte, wie es den Interessen seiner Auftraggeber gefiel. Und wie es schien, war diese autoritäre und einschüchternde Art keine angeborene Charaktereigenschaft, sondern eine Fähigkeit, die man durchaus lernen konnte. Der alte Lykon dagegen unterwies Krates in die diplomatischen Gepflogenheiten, die zu beachtenden Höflichkeitsformeln und die zu wahrende Etikette anderer Königshöfe und Empfänger ausländischer Gesandtschaften und war dabei sichtlich bemüht die Scherben zusammenzufegen, die Aristons Ratschläge hinterließen. Am beeindruckendsten jedoch fand Krates die Ausführungen des Athenaios, der ihm die Reichweite und den Sinn der pergamenischen Stiftungen erläuterte. Das Bauprogramm der Könige begünstigte Bündnispartner im In und Ausland und umfasste nicht nur Hallenbauten und Tempel, sondern auch Gymnasien und Stadien und führte bis hin zur Gründung ganzer Städte.
Im Spätsommer war es dann so weit, dass Krates auf seine erste Dienstreise geschickt wurde. Um ihm seinen diplomatischen Start etwas zu vereinfachen, wurde er von Ariston begleitet, der zwar das Unternehmen anführte und letztendlich auch die Verantwortung trug, Krates jedoch in allem den Vortritt ließ und von ihm erwartete, dass er seine Mission so eigenständig erfüllte, als wäre er auf sich allein gestellt. Das Ziel ihrer Reise war Milet, eine freie Hafenstadt unten an der ionischen Küste, für die Eumenes ein großes Gymnasion mit angrenzendem Stadion hatte errichten lassen. Krates beauftragte Leonidas mit der stellvertretenden Leitung der Bibliothek und packte seine Sachen.
Am folgenden Morgen traf er sich mit Ariston und vier Soldaten am Eumenischen Tor, von wo aus sie gemeinsam in die weite Ebene ritten. Im Gegensatz zum langsamen Trott der Karawanen legten sie ein ordentliches Reisetempo vor, das sie ihr Ziel schon nach vier Tagen erreichen ließ. Unterwegs hatten sie in Smyrna, Ephesos und Naulochos genächtigt, das Tmolosgebirge überquert und den latmischen Golf hinter sich gelassen.
In Milet angekommen, ließen sie sich von einem Hafenbeamten zum Stadtrat führen. Das Marktviertel war recht belebt und ein paar Mal mussten sie sich beeilen, um den eilig voranschreitenden Milesier nicht aus den Augen zu verlieren. Als sie schließlich am Rathaus angelangt und mit ihren Pferden das mächtige Viersäulenportal durchschritten hatten, begrüßte sie einer der milesischen Ratsherren.
»Ariston, mein Guter! Herzlich willkommen in Milet.«
Ariston umarmte den Ratsherren und deutete auf Krates. »Mein Freund Krates ist derjenige, der den König vertritt. Ich selbst bleibe bei dieser Mission im Hintergrund.«
»Dann sei auch du mir willkommen. Mein Name ist Eudoxos.«
Nach einer kurzen Erfrischung im Rathaus, bei der Eudoxos den Einweihungstermin am nächsten Tag bestätigte, ließ er sie in eine Nobelherberge hinter dem Nordmarkt führen, wo sie ihr Quartier bezogen und sich erst einmal ausruhten. Am frühen Abend machten Ariston und Krates einen kleinen Spaziergang durch die Stadt und setzten sich anschließend in eine der Fischertavernen am Hafen.
»Es wäre ganz gut, wenn du morgen eine kleine Rede hieltest.«
»Das kann ich machen, aber was soll ich denn erzählen?«
Ariston lachte. »Im Grunde genommen ist es ganz egal, was du den Leuten erzählst, weil sie hauptsächlich an den Gebäuden und dem Wein interessiert sind, der danach fließen wird. Aber vielleicht findest du ja trotzdem etwas Passendes.«
»Bestimmt«, erwiderte Krates gelassen und erinnerte sich dankbar an die rhetorischen Kniffe, die ihm Kallisthenes einst in Tarsos beigebracht hatte.
Am folgenden Morgen war er zeitig aufgestanden, um sich in aller Ruhe ein paar Gedanken über seine Rede zu machen. Er wollte keinen Unsinn von sich geben, aber den Milesiern auch keinen Honig um den Bart schmieren. Eine ernsthafte Rede dagegen durfte weder zu kritisch noch zu lang sein, also musste er sich etwas einfallen lassen. Als schließlich auch seine Gefährten am Frühstückstisch erschienen, hatte er das richtige Konzept gefunden.
»Lass uns gehen«, forderte ihn Ariston nach Beendigung seiner Mahlzeit
auf, »damit wir bald wieder nach Hause können.«
»Hört sich gut an«, lächelte Krates, der sich hier trotz der Zuvorkommenheit und des Luxus, den ihnen die Milesier angedeihen ließen, nicht sonderlich wohl fühlte.
Sie sattelten ihre Pferde und ritten zum Gymnasion in die Theaterbucht. Auf dem großen Platz zwischen Stadion und Gymnasion hatte man eine kleine Rednertribüne errichtet, vor der sich bereits eine riesige Menschenmenge eingefunden hatte. Sie trafen mit den Ratsherren von Milet zusammen und wurden von Eudoxos gebeten, nach seiner Ansprache ein paar Worte zu sagen und dann die Stiftungen einzuweihen. Die vier pergamenischen Wachmänner bezogen ihre Stellungen, während sich Ariston und Krates auf den Sitzreihen neben der Tribüne niederließen.
Die Rede des Eudoxos war zu lang und für Krates’ Geschmack auch viel zu unterwürfig. Er lobte die tolerante Regierung des Eumenes und sein tugendhaftes Leben, die wirtschaftliche Partnerschaft beider Städte und die Freiheitsliebe der Milesier. Das Ende seiner Rede war bei der mittlerweile unter den Zuhörern ausgebrochenen Unterhaltung kaum noch zu verstehen, der tosende Beifall nach seinem Schlusswort dafür umso lauter. Krates atmete einmal tief durch, stieg auf das Podium und wartete geduldig, bis sich die Menge wieder beruhigt hatte.
»Ihr tapferen Milesier«, rief er lächelnd. »Ich bin zum ersten Mal in eurer Stadt und habe doch schon so viel von euch gelernt. Von eurem Wohlstand und eurer Freiheitsliebe, auf die auch Eudoxos so eindrucksvoll zu sprechen kam. Aber mit dem Wohlstand ist es wie mit der Freiheit: Von alleine kommen sie nicht, man muss sie sich erkämpfen. Und wenn sie dann da sind, muss man notfalls wiederum kämpfen, damit sie nicht einfach wieder verschwinden. Ich möchte eure Aufmerksamkeit nicht so lange in Anspruch nehmen wie mein Vorredner, deshalb sage ich euch nur folgendes: Um für etwas zu kämpfen, muss man trainieren und wenn man dann trainiert hat, muss man seine Kräfte auch abschätzen können. Man muss sich mit anderen messen, mit Gleichgesinnten ebenso wie mit Gegnern. König Eumenes weiß das, denn er hätte seine Feinde niemals in ihre Schranken weisen und das Reichsterritorium so lange halten können, wenn er nicht immer wieder trainiert und sich in unzähligen Schlachten mit anderen gemessen hätte.
Nun gehören Schlachten und Kriege nicht gerade zu den Angelegenheiten, die man seinen Freunden gerne stiftet. Deshalb hat sich der König dazu entschlossen euch dieses Gymnasion und das dazugehörige Stadion zu errichten, damit ihr eure Kräfte trainieren und euch anschließend mit anderen messen könnt.
Wir wünschen euch alle Kraft und Ausdauer, um mit Hilfe dieser beiden Einrichtungen eure Freiheit und euren Wohlstand bis in alle Ewigkeit zu verteidigen.«
Dann breitete Krates seine Arme aus und erklärte die Anlagen für eröffnet. Der donnernde Beifall wollte nicht enden und erst, als ihm Ariston mit einem stolzen Lächeln auf die Schulter klopfte und ihn in Richtung Gymnasion schob, setzte sich auch die Menge in Bewegung. Die Stadtwache blies ihre Fanfaren und das Einweihungsfest war eröffnet. Händler und Gaukler strömten in die längliche Arena des Stadions, gefolgt von unzähligen Milesiern, die die Ränge hinaufkletterten, um sich für das bevorstehende Spektakel einen möglichst guten Sitzplatz zu ergattern. Krates wechselte einen kurzen Blick mit Ariston und kam zu dem Entschluss, es dabei zu belassen. Sie verabschiedeten sich von den Ratsherren, drückten ihnen ihre Glückwünsche und Anerkennung für die neuen Anlagen aus und machten sich mit ihrer Eskorte und den guten Wünschen ihrer Gastgeber auf den Rückweg zur Herberge. Die Sachen waren schnell gepackt und so setzten sie noch am Nachmittag über den latmischen Golf nach Naulochos über, wo sie ein einfaches Quartier bezogen und sich aus Rücksicht auf den morgigen Ritt früh zur Ruhe begaben.
Am nächsten Morgen jagten dunkle Regenwolken über den Himmel. Die anhaltenden Gewitterschauer hatten die Mäanderebene aufgeweicht und den ungepflasterten Handelsweg in einen endlosen Morast verwandelt. Da sie die Stadt Magnesia erst am späten Nachmittag erreichten und Krates mit seiner Gesandtschaft nicht auch noch in die Dunkelheit geraten wollte, schlug er vor den Ritt durch das Tmolosgebirge auf den morgigen Tag zu verschieben. Doch Ariston, der sich offenbar in den Kopf gesetzt hatte seinen jungen Diplomaten einem Härtetest zu unterziehen, drängte auf ihre Weiterreise. Krates gab nach und führte seine Delegation durch den Sturzregen in die Höhenzüge des Tmolos. Wie gut, dachte sich Krates auf den engen Spitzkehren, die sie langsam ins Gebirge hinaufführten, dass ich erst kürzlich beim Hufschmied war. Denn Pluto hatte keinerlei Mühe auf den rutschigen Steinen Fuß zu fassen und ihn sicher durch die Berge zu tragen. Ariston dagegen hatte sichtliche Schwierigkeiten und so passierte es schließlich, dass sein Pferd ausglitt und samt Reiter in einen Graben stürzte. Der Gesandte schrie vor Schmerz und an seiner unnatürlichen Haltung konnten sie deutlich erkennen, dass er sich den rechten Arm ausgekugelt hatte. Krates saß sofort ab und rannte zu ihm. Er betrachtete den merkwürdig vom Körper abstehenden Arm und erinnerte sich an einen ähnli
chen Unfall, den einer der Syrer des Karawanenführers Simon in den isaurischen Bergen gehabt hatte. Leandros hatte ihm damals erklärt, wie man den Arm wieder einrenkt und auch, wenn es äußerst brutal aussah, war es doch eigentlich ganz einfach.
Er hockte sich neben Ariston und bat ihn, sich auf den Bauch zu legen. Dann stemmte er ihm sein linkes Knie ins Kreuz, nahm seinen rechten Arm und drehte ihn mit einer beherzten Bewegung zurück. Die Gelenkkugel knackte und Ariston schrie wie am Spieß, doch er hörte ebenso plötzlich wieder auf, als mit dem eingerenkten Arm auch ein Großteil der Schmerzen verflog. Krates half ihm vorsichtig bis zu einem kleinen Felsüberhang, unter dem sie mit ihren sechs Pferden vor dem Regen geschützt waren. Ariston hockte sich auf den nas
sen Boden und rieb sich noch immer schmerzverzerrt die rechte Schulter.
»Hast du andere Verletzungen?« fragte Krates.
»Nein, beim Zeus. Aber die Schmerzen in meiner Schulter reichen mir voll und ganz.«
Krates bat die Soldaten Holz für ein wärmendes Feuer zu suchen, damit sie die Nacht unter dem Felsüberhang verbringen konnten und holte aus Plutos Reisesäcken ein langes Schafsfell sowie die Wolldecke, die er sich aus Pergamon für den Fall der Fälle mitgenommen hatte. Er legte das Fell auf den Boden und wies Ariston an sich darauf niederzulassen. Dann deckte er ihn zu und ließ ihn ausruhen. Während Ariston erschöpft die Augen schloss und leise vor sich hin fluchte, tastete Krates über seinen Körper, wie er es von Leandros
gelernt hatte und spürte sofort den stechenden Schmerz im rechten Schultergelenk. Mit weit ausholenden Reinigungsbewegungen zog er die Spuren des Schmerzes aus Aristons Schulter und schleuderte sie hinter sich.
»Was machst du da?« fragte Ariston ungehalten.
»Ich versuche dir zu helfen«, antwortete Krates grimmig. »Verdammt noch mal, Ariston! Wem musst du eigentlich noch etwas beweisen? Dir selbst oder mir oder unseren wackeren Kriegern?«
»Ich wollte dich die Gefahren der Berge lehren«, gab Ariston kleinlaut zu.
Krates konnte nicht anders als verächtlich zu lachen. »Und dafür suchst du dir den Tmolos aus? Diesen lächerlichen Hügel mit seinen breiten Pfaden und sanften Hängen? Auch ich habe die kilikischen Berge überquert, Väterchen, und wäre dir das hier im Tauros passiert, könntest du dich jetzt mit Charon unterhalten.«
Ariston schwieg und schloss wieder die Augen, während Krates mit seiner Reinigung fortfuhr.
»Lässt der Schmerz allmählich nach?«
»Ja, das tut er«, sagte Ariston leise.
Krates wiederholte die Reinigung und schickte ihm abschließend das göttliche Licht, das er heute besser spürte denn je. Als er damit geendet hatte, tastete er abermals über Aristons Schulter und spürte nur noch ein leichtes Ziehen, das vermutlich im Laufe der Nacht verschwinden würde. Ariston selbst war inzwischen eingeschlafen und schnarchte leise vor sich hin. Und erst jetzt, nachdem er seinen Freund und Vorgesetzten in Sicherheit wusste, Pluto neben den anderen Pferden im Schutz des
Felsvorsprunges und die Soldaten um das Feuer sitzen sah, erst jetzt wurde ihm bewusst, was für ein Glück sie gehabt hatten. Krates spürte, wie sich ihm der Magen umdrehte und eilte in den Regen, um sich zu übergeben. Der Hauptmann gesellte sich zu ihm, berührte ihn leicht an der Schulter und reichte ihm einen Wasserschlauch.
»Danke«, flüsterte Krates.
»Komm doch zu uns ans Feuer«, bat ihn einer der Soldaten. »Hier ist es wärmer und außerdem trockener.«
Krates bedankte sich nochmals und setzte sich auf den kalten Boden.
»Das war wirklich beeindruckend«, begann der Hauptmann.
»Was meinst du?«
»Einfach alles«, lachte er. »Angefangen bei deiner Rede in Milet, über deine furchtlose Beherztheit, mit der du Ariston den Arm wieder eingerenkt hast bis hin zu deiner Pneumaanwendung.«
Krates strahlte. »Du kennst das Pneuma?«
»Selbstverständlich. Ich selbst beherrsche es leider nicht und die Kameraden hier, soweit ich weiß, auch nicht. Aber im Krieg ist es eine der nahe liegendsten Möglichkeiten sich mit möglichst wenig Aufwand zu heilen.«
»Das hätte ich nicht gedacht«, gab Krates zu. »Auch wenn es einleuchtet, zumal es nach den Schlachten sicher reichlichen Bedarf geben dürfte.«
Der Hauptmann nickte. »Mein Name ist übrigens Konon.«
»Und ich bin Demosthenes«, stellte sich der zweite vor.
»Mich nennt man Pixodaros.«
»Und mich Antaios.«
Krates nickte ihnen zu. »Wenigstens dein Name ist in sich logisch.«
Der fragende Blick der Soldaten brachte ihn zum Schmunzeln. »Ja, wisst ihr denn nicht, wer Antaios war? Es gab einmal einen sagenhaften Riesen, der im fernen Libyen lebte und jeden Fremden zum Ringkampf herausforderte, den er natürlich aufgrund seiner wuchtigen Statur auch gewann. Muss ich weiterreden?«
Die Soldaten brachen in schallendes Gelächter aus und löcherten ihn mit Fragen zu ihren Namen, seiner Aufgabe in der Bibliothek und seiner Herkunft. Krates war froh, den unglücklichen Abend in einer heiteren Gesprächsrunde beenden zu können und erzählte ihnen bereitwillig, wie er einst nach Tarsos gekommen war, von seiner ersten Begegnung mit Ariston und seinem Höllenritt über den Tauros, seinem unerwarteten Wiedersehen mit Hippias in der fernen Gebirgsstadt Sagalassos und schließlich von seiner Ankunft in Pergamon. Währenddessen wurde der Regen immer schlimmer.
»Nun«, schloss Krates seinen Bericht, nachdem ein greller Blitz das Innere ihrer Höhle für einen kurzen Moment erleuchtet hatte, »wie es scheint, hat uns das Schicksal vor noch Schlimmerem bewahrt.«
Als er am nächsten Morgen erwachte, waren die anderen bereits auf den Beinen und das Innere des Felsvorsprungs von warmem Sonnenlicht durchflutet.
»Guten Morgen«, begrüßte er seine Reisegefährten. »Warum habt ihr mich denn nicht geweckt?«
»Weil wir der Meinung waren, dass du dir deinen Schlaf redlich verdient hast«, antwortete Konon lächelnd.
»Ich stehe tief in deiner Schuld«, begann Ariston verlegen.
»Ach, Unsinn«, sagte Krates und schwang sich auf die Beine.
»Doch, das tut er«, mischte sich Konon ein.
»Wie dem auch sei«, stellte Krates fest, »ich sterbe vor Hunger und ich wollte hier auch keine Wurzeln schlagen. Also lasst uns endlich weiterreiten.«
»Nach Ephesos ist es nicht mehr weit.«
»Dann auf! Worauf warten wir noch?«
Die ehemals matschigen und rutschigen Bergstiege waren in den Morgenstunden wieder getrocknet und so machten sie sich an einen geruhsamen Ritt Richtung Ephesos, dessen Tore sie am späten Vormittag erreichten. Sie hielten eine ausgiebige Rast, bei der sie sich gründlich satt aßen und setzten ihren Ritt durch die ionische Ebene fort, um in den Abendstunden wieder nach Smyrna zu gelangen. Nach einer ruhigen Übernachtung und einem weiteren Tagesritt erreichten sie endlich die Tore von Pergamon, wo sie sich herzlich voneinander verabschiedeten.
»Wenn du das nächste Mal in der Unterstadt bist«, wandte sich Konon an Krates, »dann schau doch mal rein. Die Kaserne liegt ja hier gleich gegenüber.«
»Mach ich«, versprach Krates und drückte dem Hauptmann abermals die Hand. Dann wandte er sein Pferd und ritt mit Ariston in die Philetaireia.