Ihr Aufbruch zog sich unerwartet in die Länge, weil sie in der Marschordnung die letzten waren und ihren Lagerplatz erst verließen, als sich die Vorhut des Klearchos längst auf dem weit unter ihnen liegenden Weg befand. Die Landschaft der Kalkterrassen endete genauso abrupt, wie sie begonnen hatte und bald befanden sie sich auf dem langen Abstieg in die grüne Ebene des Maiandrostales. Die Wege, über die sie nun zogen, waren sehr viel breiter und bequemer als die, über die sie nach Hierapolis gekommen waren und Klearchos legte mit seiner Karawane ein so beachtliches Reisetempo an den Tag, dass sie bereits am Abend die Stadt Apollonia Salbake erreichten.
Der nächste Tag begann mit einem krachenden Donnerschlag. Über Nacht war ein kräftiges Gewitter aufgezogen, dessen dunkle Wolken über den Gipfeln des Tmolosgebirges hingen und sich bei Sonnenaufgang direkt über Apollonia Salbake entluden. Es begann fürchterlich zu regnen und auch der Wind frischte zunehmend auf. Links und rechts von ihnen schlugen schon die Blitze ein und die verschlafenen Treiber hatten bald alle Hände voll zu tun, um die in Panik ausbrechenden Pferde in Zaum zu halten. Klearchos entschloss sich zu einem raschen Aufbruch und gab Order das Frühstück auf die erste Rast zu verschieben, damit sie dem Unwetter entkommen und den Tmolos mit seinen verregneten Schlammpfaden so schnell wie möglich hinter sich lassen konnten.
Der Weg führte über steile Serpentinen auf eine Hochebene, die sich leicht nach Norden senkte und am fernen Horizont das Hermostal erahnen ließ. Krates’ Laune verschlechterte sich von Stunde zu Stunde. Ein Morgen ohne die Muße sich in Ruhe zu waschen und ausgiebig zu frühstücken, war nicht seine Sache. Und dann diese Berge, immer nur Berge! Kopfschüttelnd erinnerte er sich an die Vorfreude, mit der er in Mallos einst an den Tauros gedacht hatte. Jetzt war er seit Wochen in ihm unterwegs und sehnte sich nach den Weiten der Kilikischen Ebene. Über der Hochebene, die scheinbar nur aus klobigen Felsen und vereinzelten Macchia-Büschen bestand, lag dichter Nebel und der anhaltende Regen ließ sie frösteln.
Krates schaute gerade nach seinen Treibern Skythos und Medion, die hinter den Lasttieren am Ende des Handelszuges ritten, als er das donnernde Getrappel sich nähernder Pferde hörte. Die wilden Kampfschreie, die den Hufschlag begleiteten, verhießen nichts Gutes, doch die Sicht war zu schlecht, um auch nur zu ahnen, aus welcher Richtung die Gefahr drohte. Verunsichert hielt Krates inne und sah, wie die pergamenischen Treiber ihre Tiere zur Eile mahnten. Er wollte gerade zu einem der Pergamener reiten, um zu fragen, wie er sich verhalten sollte, als aus dem Nebel die ersten Reiter hervorpreschten. Was im Folgenden geschah, ging zu schnell, um es auch nur annähernd zu begreifen. Die Karawane wurde überfallen, soviel stand fest, und die Angreifer waren eindeutig in der Überzahl. Es mochten ein paar hundert Männer sein, die den Handelszug von verschiedenen Seiten gleichzeitig angriffen, und ihr Anblick ließ Krates schaudern. Den Helmen und Schilden nach zu urteilen, waren es eindeutig Krieger, auch wenn er eine solche Bewaffnung noch nie zuvor gesehen hatte. Im Nu befand er sich in einem wilden Schlachtgetümmel, in der sich die pergamenischen Treiber gegen ihre Angreifer zu wehren versuchten. Hilflos versuchte Krates sein Pferd zu zügeln und rief verzweifelt Hippias’ Namen. Er dachte an Flucht, doch wohin hätte er bei dem Nebel schon reiten sollen.
Die pergamenischen Treiber besaßen Waffen, von denen sie tatkräftigen Gebrauch machten, doch Krates und seine Treiber waren wehrlos. Er sah, wie Skythos die Pferde zusammentrieb und von einem der Krieger hinterrücks erschlagen wurde. Im nächsten Moment erkannte er Hippias, der sich mit einem der Angreifer schlug und ihm schließlich mit wütendem Geheul das Genick brach. Es grenzte fast an ein Wunder, dass Krates selbst nichts passierte. Und auch, wenn er schon sein Ende nahen sah, war der Kampf doch schneller vorüber als erwartet.
Zitternd vor Angst und noch immer unter Schock blickte er auf das Schlachtfeld, das noch vor kurzem nichts weiter als ein Karawanenweg gewesen war. In der Ferne hörte er den Hufschlag und das triumphierende Geheul der Krieger, die sich offenbar mit ihrer Beute zurückzogen. Vor ihm lagen die Reste des angeschlagenen Handelszuges: Der steinige Boden war mit abgeworfenen Lasten übersät. Dazwischen befanden sich einige Männer, die im Kampf verletzt oder ums Leben gekommen waren; die meisten von ihnen waren pergamenische Treiber, doch Krates erkannte auch den einen oder anderen fremden Krieger. Verzweifelt suchte er nach seinen Kameraden. Als er sich an das Bild des vom Pferd stürzenden Skythos erinnerte, zog sich ihm das Herz zusammen, doch zunächst fand er seinen Treiber Medion. Krates hatte sich mit ihm in den letzten Wochen nur selten unterhalten, denn Medion war ein verschlossener Mensch, der seine Arbeit verrichtete und keine großen Worte machte. Als er ihn fand, hielt Medion noch die Zügel zweier Pferde in der Hand, die vor ihm standen und ängstlich wieherten. Aus seinem Bauch quoll dunkles Blut und der linke Arm war kurz unterhalb der Schulter abgetrennt. Trotzdem schien der Treiber noch zu leben, denn als ihn Krates ansprach, kniff er die Augen zusammen und murmelte: »Es tut mir leid …«. Dann drehte er den Kopf zur Seite und starb. Krates würgte und übergab sich in einen der nahe gelegenen Büsche.
Als er seinen Namen hörte und Hippias sah, der keine hundert Schritte entfernt mit Leandros und Omikron auf dem Boden hockte, bekam Krates weiche Knie. Die Angst um den Verlust seiner Freunde hatte ihn fast verrückt gemacht und nun sah er, dass wenigstens sie noch am Leben waren. Er nahm Pluto am Zügel und stolperte zu ihnen. Bei ihnen saß Hegesias, der leicht verwundet war und gerade von Leandros versorgt wurde.
»Wie gut, dass ihr am Leben seid«, stotterte Krates und nickte Hegesias besorgt zu.
»Wie gut, dass Du am Leben bist«, erwiderte Hippias und reichte ihm die Hand.
»Kann mir einer von euch erklären, was hier passiert ist?«
»Galater«, sagte Leandros leise, während er mit seiner Pneumabehandlung begann. »Die Pergamener erzählen, es seien die Galater gewesen.«
»Die Galater?« fragte Krates. »Wer oder was sind die Galater?«
»Ein feindlicher Volksstamm«, erklärte Hegesias, »der im Landesinneren wohnt und in permanentem Kampf mit den Pergamenern steht. Au!«
»Entschuldige«, erwiderte Leandros, der mit seiner Hand an Hegesias’ Wunde geraten war.
»Wo ist eigentlich Medion?« erkundigte sich Omikron.
Krates schluckte. »Er tut mir leid, er hat es nicht geschafft. Er liegt dahinten bei den Büschen. Aber geh lieber nicht dahin …«
Omikron begann bitterlich zu weinen. »Reicht es denn nicht, wenn Skythos tot ist? Warum musste auch Medion sterben?«
Leandros nahm den Jungen in den Arm und strich ihm zärtlich übers Haar. Krates wollte etwas sagen, brachte aber keinen Ton heraus. So hockten sie eine ganze Zeit lang schweigend voreinander und lauschten in die neblige Stille, die nur vom Wehklagen der Verletzten und dem Wiehern der Pferde unterbrochen wurde.
Als sich der Nebel schließlich auflöste und die Sonne durch die Wolken brach, erkannten sie das ganze Ausmaß der Verwüstung: Fast Zweidrittel der Karawane waren verschwunden. Die Pergamener hatten zweiundzwanzig Treiber verloren, ein gutes Dutzend war mehr oder minder schwer verletzt. Von den anfänglich zweihundert Lasttieren zählten sie nur noch dreiundsechzig, die während des Angriffs zum Teil auf die steinigen Hänge hinaufgeflüchtet waren und nun von den restlichen Treibern wieder eingefangen werden mussten. Auch von Krates’ achtundzwanzig Pferden konnten sie lediglich neun wiederfinden. Der Rest war in die Berge geflüchtet oder von den Galatern geraubt worden.
Krates fühlte sich hilflos und niedergeschlagen. Er hatte zwei seiner lieb gewonnenen Treiber und mehr als die Hälfte seines Vermögens verloren. All die Mühen der vergangenen Wochen schienen vergebens gewesen zu sein. Aber er war noch am Leben, ja sogar unversehrt, und er dankte den Göttern für ihre Gnade.
Nach einer Weile erschien Klearchos, der sie zur Eile drängte. Um sich vor weiteren Angriffen zu schützen, mussten sie die Hochebene so schnell wie möglich verlassen. Krates fragte, ob sie die toten Kameraden nicht begraben sollten und erntete Klearchos’ Zorn.
»Wenn du dich unbedingt umbringen lassen willst, kannst du gerne hierbleiben. Auch unsere Kameraden hätten ein anständiges Grab verdient. Aber wenn wir nicht bald von hier verschwinden, können wir uns unser eigenes Grab gleich mit schaufeln.«
Krates wusste nicht, wie er reagieren sollte und blickte seine Kameraden hilflos an. Doch Leandros hatte den Ernst der Lage erkannt und bat Hippias und Omikron ihm beim Sammeln der Tiere zu helfen. »Skythos hätte nicht anders gehandelt«, murmelte der Treiber grimmig und half Hegesias beim Aufsitzen.
Dann ging alles ziemlich schnell. Hippias und Omikron hatten Krates’ verbliebene neun Pferde zusammengetrieben, aneinandergeleint und die auf ihnen befestigten Tuche gesichert. Ein letztes Mal noch blickten sie auf das Schlachtfeld der Hochebene und wünschten den toten Kameraden viel Glück im Jenseits. Dann schwangen sie sich auf ihre Pferde und folgten Krates und den Pergamenern.
Der Weg, über den sie nun in sanften Serpentinen ins idyllisch anmutende Tal des Hermos gelangten, schien so harmlos, dass sie Mühe hatten sich vorzustellen, was noch vor weniger als einer Stunde gewesen war.
Gegen Nachmittag erreichten sie die alte Königsstraße, deren gepflasterte Trasse dem Flusslauf des Hermos folgte. Marmorne Meilensteine, die noch aus der Perserzeit stammten, informierten in regelmäßigen Abständen über die Entfernung bis nach Sardes. Als sie in den frühen Abendstunden die lydische Hauptstadt erreichten, waren sie am Ende ihrer Kräfte. Krates dachte an Myron, der ihm einst die Legende von dem Hirten Gyges erzählt hatte, der ebenso aus Sardes stammte wie der für seinen Reichtum berüchtigte König Kroisos. Aber Krates war ebenso niedergeschlagen wie seine Gefährten und auch, wenn sie fast die einzigen waren, die den Abend freiwillig bei der Karawane verbrachten, waren sie doch glücklich, als sie sich endlich in ihre Decken verkriechen und einschlafen konnten.
Als sie am folgenden Morgen aus Sardes aufbrachen, wurden die Verluste des Vortages für jeden schmerzlich spürbar. Schweigend durchmaßen sie die lydische Ebene und umrundeten langsam den Fuß des Sipylos-Berges. Am Nachmittag schlängelte sich der Weg noch einmal in die Berge. Stundenlang ritten sie durch dichte Laubwälder, bis sie in den frühen Abendstunden die Stadt Aigai erreichten. Auch Aigai war zu klein, um selbst den stark dezimierten Handelszug innerhalb der Stadtmauern aufnehmen zu können, so dass sie ein letztes Mal auf freiem Feld lagern mussten. Klearchos hatte ihnen versichert, dass sie hier nichts zu befürchten hätten und so ließ es sich Krates nicht nehmen gemeinsam mit Hippias und Hegesias einen Abendspaziergang durch die Stadt zu machen.
Aigai schien ungeheuer reich zu sein. Bewundernd schauten sie auf die Terrassenbauweise, mit der sich die oberen Viertel über gewaltige Hangmauern von den unteren abgrenzten. Sie schlenderten durch die Straßen und Treppengassen und kauften sich auf dem Markt Brot und Käse, einen Topf eingelegter Oliven und Salat, dazu ein paar Zwiebeln, bratfertige Hühner und zwei kleine Amphoren Wein.
Das Abendessen, das sie gemeinsam am Feuer einnahmen, glich einem Festmahl, das manchen pergamenischen Treiber in Staunen versetzte. An ihrem Schmerz konnte es dennoch nichts ändern.
Am nächsten Tag führte sie Klearchos durch die dichten Mischwälder gen Norden und Krates merkte, wie die Laune der pergamenischen Treiber mit jeder Stunde fröhlicher wurde. Am Nachmittag legten sie noch eine letzte Rast ein, bevor sie die restliche Etappe bis zum Abend durchmarschieren würden. Sie setzten sich unter eine große Eiche und blickten ergriffen auf die unter ihnen liegende Ebene und den fernen Burgberg von Pergamon, auf dem sich bereits die ersten Mauern und Häuser abzeichneten.
In Krates’ Kopf schienen sich die Gedanken zu überschlagen, deshalb zwang er sich zur Ruhe und genoss die Nähe seiner verbliebenen Treiber, so lange er sie noch um sich hatte. Nachdenklich betrachtete er den kleinen Omikron, den er in den letzten Wochen so lieb gewonnen hatte, dass er sich glatt vorstellen konnte, eines Tages selbst Kinder zu haben. Doch dazu musste er erst eine passende Frau finden, denn von den üblichen Zweckheiraten hielt er nichts.
Das Horn des Klearchos riss ihn aus seinen Gedanken und er nahm wieder auf Plutos Rücken Platz. Der wuchtige Burgberg von Pergamon kam unaufhaltsam näher und Krates schätzte, dass die Oberburg vielleicht fünf- oder sechshundert Fuß über der Ebene liegen musste. Schon von Weitem konnte er das große Theater erkennen, das sich wie eine riesige Muschel in den Hang unterhalb der Akropolismauern bettete. Auf der Oberburg entdeckte er zahlreiche Gebäude, aus denen Rauch aufstieg und die offensichtlich noch bewohnt waren. Unterhalb davon erstreckte sich die Stadt, die sich bis in die Ebene hinabzog und ringsum von hohen Mauern umgeben war.
Es begann schon zu dämmern, als sie an einem großen Heiligtum vorbeizogen, von dem ihm Klearchos erklärte, dass hier das berühmte Asklepieion von Pergamon läge, jenes Kuratorium, in das die Leute von weit her kämen, um sich heilen zu lassen. Gerade preschte eine Gruppe berittener Soldaten an ihnen vorbei und eilte zum Haupttor, als ihnen ein junger Mann vom Straßenrand zurief, ob sie wohl Myrrhe mit sich führten. Die Karawanentreiber verneinten und erklärten Krates, dass sie den Ärzten vom Asklepieion ab und zu Heilkräuter mitbrächten, die sie dann meist schon hier am Straßenrand verkauften.
»Dann kommt dieser Mann also vom Asklepieion?«
»Ja, sein Name ist Orpheus.«
Krates erkannte die Chance und ritt zu ihm. »Ich hörte, dein Name sei Orpheus.«
»Ganz recht.«
»Sag, kennst du hier einen Arzt namens Philopatros?«
»Aber natürlich«, erwiderte Orpheus ruhig und deutete mit dem Daumen über seine Schulter. »Der sitzt dort hinten im Asklepieion. Hast du ihm etwas mitgebracht oder soll ich ihm eine Nachricht übermitteln?«
»Sag ihm einfach, Krates aus Mallos sei angekommen und übernachte heute in der Karawanserei. Kannst du das behalten?«
Der junge Mann nickte und wandte sich zum Gehen. Krates rief ihm seinen Dank hinterher und ritt eilig zur Karawane zurück. Je näher sie den gewaltigen Befestigungsanlagen kamen, desto mehr verstand Krates, warum diese Stadt bislang noch nie eingenommen werden konnte. Die Mauern waren an die fünfzig Fuß hoch und machten einen so soliden Eindruck, dass sie vermutlich jeder Art von Geschossen standhalten konnten. Die Karawane überquerte eine der Brücken über den Selinus-Bach und gelangte kurze Zeit später an das klobige Stadttor, das die pergamenischen Treiber als das Eumenische Tor bezeichneten.
Stück für Stück schob sich der lange Handelszug in die Stadt und erst, als Krates und seine Treiber selbst das Tor passierten, wurde ihnen klar, warum der Einzug so lange gedauert hatte. Hinter dem Tor nämlich kam man erst in einen kleinen Vorhof, von dem aus der Weg in entgegengesetzter Richtung durch ein zweites Tor in die Stadt führte. Krates hatte einige Mühe sein Pferd auf dem kleinen Vorplatz in die Gegenrichtung zu drehen und lächelte über die einfache Konsequenz dieser strategischen Rafinesse: Selbst, wenn der Feind das Tor einschlug, musste er immer noch um diesen Knick herum und würde dabei von den Mauern oberhalb des Hofes mit reichlich Pech und Schwefel übergossen werden.
Kurz hinter dem Stadttor gelangten sie auf eine breite, gepflasterte Straße, von der aus sie aber gleich wieder nach rechts abbogen, um das mächtige Tor der Karawanserei zu passieren. Der Gebäudekomplex für die Karawanen lehnte sich direkt an die Stadtmauern und besaß in etwa die gleiche Größe wie die Herbergen von Ikonion und Sagalassos.
Nachdem die Pferde in den Stallungen untergebracht und ausreichend versorgt waren, stand Krates benommen im Hof der Karawanserei und blickte über die Dächer der Häuser auf den steilen Burgberg. Ab und zu stieß ihn jemand zur Seite oder schimpfte, weil er im Weg stand, doch er nahm von all dem nichts mehr wahr. Er befand sich endlich am Ziel seiner Reise, von dem er seit fast drei Monaten geträumt hatte.
»Krates, mein Freund, was machst du denn da?« rief ihm jemand zu und Krates drehte sich verwundert zu seinen Gefährten um, die aber nur müde lächelnd hinter ihn zeigten.
»Meine Güte, warst du zu lange in der Sonne oder was ist los?«
Krates wandte sich abermals um und sah in die strahlenden Augen des Philopatros. Sie begrüßten sich überschwänglich und nahmen sich immer wieder in die Arme. Dann führte ihn Krates zu seinen Gefährten und machte sie miteinander bekannt.
»Ein Wunder«, lächelte Philopatros ironisch, »dass ihr ihn überhaupt bis hierhin bekommen habt. Aber wie schön, dass du nun endlich da bist. Beim Asklepios, wie ich mich freue!« Philopatros machte eine kurze Pause, in der er Krates glücklich anlächelte. »Ich kann mich noch gut genug an meine eigene Rückkehr aus Tarsos erinnern, um zu ermessen, wie müde du sein musst.«
»Bist du auch überfallen worden?« erkundigte sich Krates.
Philopatros wirkte überrascht. »Überfallen?« wiederholte er ungläubig.
»Galater«, erwiderte Hegesias ungefragt und spie verächtlich auf den Boden. »Zwei meiner Kameraden haben sie getötet und mehr als die Hälfte von Krates Pferde geraubt. Verrecken sollen sie!«
Philopatros war geschockt und blickte Krates fragend an.
»Es passierte gestern Morgen im Tmolosgebirge. Frag Klearchos, der wird dir näheres erzählen können.«
Philopatros biss sich auf die Lippe und wandte sich ab. »Die Galater also«, sagte er leise. »Es ist lange her, dass sie etwas derartiges gewagt haben. Ich war ehrlich gesagt davon ausgegangen, dass sie König Eumenes in ihre Schranken gewiesen habe.«
Hegesias schnaubte spöttisch. »Offensichtlich war er damit nicht sonderlich erfolgreich.«
Philopatros tat, als hätte er die respektlose Bemerkung des Treibers nicht gehört. »Es tut mir leid«, sagte er nur, »dass ihr Verluste hattet. Aber ich nehme an, du hast den weiten Weg unternommen, um unsere Bibliothek zu erreichen.«
»Natürlich«, nickte Krates. »Und ich danke den Göttern, dass sie mich bis hierhin geführt haben.«
»Weißt du denn schon, wo du dich in den nächsten Tagen melden musst, um in die Bibliothek zu kommen?«
»Ehrlich gesagt, nein.«
»Geh einfach zum oberen Burgtor hinauf und frag nach Ariston. Er ist fast jeden Tag im Palast, wenn er nicht gerade auf Reisen ist. Aber ich glaube, morgen und übermorgen müsste er da sein. Alles weitere wirst du von ihm erfahren.«
»Danke für den Ratschlag. Und danke auch, dass du so schnell gekommen bist.«
»Aber das ist doch klar. Melde dich, sobald du hier Fuß gefasst hast. Du findest mich meistens im Asklepieion. Und sollte ich nicht dort sein, hinterlass mir einfach eine Nachricht. «
Philopatros winkte ihm noch einmal zu und bestieg sein Pferd. Von der Straße hinter der Karawanserei hörten sie eine fröhliche Musik und es schien, als würde irgendwo in der Nähe gefeiert. Doch ihnen war nicht nach Feiern zumute. Der lange Ritt hatte ihnen deutlich zugesetzt und so fühlten sie sich jetzt, da sie ihr lang umkämpftes Ziel endlich erreicht hatten, ausgelaugt und müde.